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Ich bin kein Serienkiller

Ich bin kein Serienkiller

Titel: Ich bin kein Serienkiller
Autoren: Dan Wells
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mich aus ferner Vergangenheit.
    »Ich lernte Bill neunzehnhundertfünfundsechzig kennen.« Sie führte mich ins Wohnzimmer und setzte sich aufs Sofa. »Zwei Jahre später haben wir geheiratet. Im nächsten Mai wäre unser vierzigster Hochzeitstag gewesen.«
    Ich setzte mich ihr gegenüber und hörte zu.
    »Wir waren beide schon über dreißig«, begann sie. »Als ledige, über dreißig Jahre alte Frau galt ich in unserer Stadt als alte Jungfer. Ich hatte mich damit abgefunden. Eines Tages kam Bill und suchte einen Job. Damals arbeitete ich als Sekretärin bei den Stadtwerken. Er sah gut aus und war eine altmodische Seele. Er interessierte sich nicht wie so viele andere Leute für die Hippiebewegung. Er war höflich, hatte gute Manieren und erinnerte mich mit seinem Hut, den er so gut wie nie absetzte, ein wenig an meinen Großvater. Stets hielt er den Damen die Tür auf und erhob sich, wenn wir den Raum betraten. Natürlich bekam er den Job, und so sah ich ihn jeden Morgen, wenn er zur Arbeit kam. Er war immer ganz reizend und der Einzige, der mich Kay nannte. Eigentlich heiße ich ja Katherine, und die anderen nannten mich Katie oder Miss Wood, aber er sagte, sogar Katie sei ihm zu lang, und kürzte es zu Kay ab. Er war immer in Bewegung, immer musste er etwas Neues ausprobieren und eilte von einer Aufgabe zur nächsten. Er hatte eine so große Lebenslust. Nach zwei Wochen war ich ganz hingerissen von ihm.« Sie lachte leise, und ich lächelte.
    Mr Crowleys Vergangenheit entfaltete sich vor mir wie ein Gemälde mit satten Farben und Konturen, und ich lernte ihn endlich wirklich kennen. Er war nicht vollkommen, aber eine Zeit lang – sogar sehr lange – ein guter Ehemann gewesen.
    »Wir waren ungefähr ein Jahr zusammen, ehe er mir einen Antrag machte«, fuhr sie fort. »In dieser Hinsicht war er langsam. Eines Sonntags, als wir bei meinen Eltern zu Mittag aßen, alle meine Brüder und Schwestern waren mit ihren Familien da, und alle lachten und redeten, stand er auf einmal auf und verließ das Zimmer.« Gedankenverloren blickte sie ins Leere. »Ich folgte ihm und fand ihn weinend in der Küche. Er sagte mir, er habe es bisher nie richtig verstanden. Ich erinnere mich noch ganz genau, wie er es sagte: ›Ich habe es bisher nie kapiert. Erst jetzt wird es mir klar.‹ Er sagte mir, er liebe mich mehr als alles im Himmel und in der Hölle. Er konnte mit Worten sehr romantisch sein. Und dann bat er mich auf der Stelle, ihn zu heiraten.«
    Sie schloss die Augen und hing für einen Moment schweigend ihren Erinnerungen nach.
    »Er versprach mir, für immer bei mir zu bleiben, in Krankheit wie Gesundheit … in seinen letzten Tagen war es wohl eher Krankheit als Gesundheit. Du hast ihn ja gesehen. Aber er sagte es mir immer und immer wieder: ›Ich werde immer bei dir bleiben.‹«
     
    Meine Mutter bemerkte sicher nicht, dass an diesem Tag ein neuer Mitbewohner bei uns einzog, der seitdem bei uns lebt. Mein Monster war jetzt endgültig befreit, ich konnte es nicht mehr wegsperren. Sosehr ich mich bemühte – jeden Tag rang ich darum –, es gelang mir einfach nicht. Wäre es so leicht zu vertreiben gewesen, dann wäre es kein Monster gewesen.
    Als der Dämon tot war, hatte ich zuerst versucht, die Mauer wieder aufzubauen und meine Regeln wieder in Kraft zu setzen, doch meine dunkle Seite hatte beharrlich Widerstand geleistet. Schließlich sagte ich mir, ich dürfe nicht mehr darüber nachdenken, anderen Menschen wehzutun, doch in jedem unbewachten Augenblick kehrten meine Gedanken wie von selbst wieder zu Gewalttaten zurück. Es war, als hätte mein Gehirn einen Bildschirmschoner voller Blut und Gekreisch, und wann immer ich eine Pause einlegte, schoben sich die Gedanken vor alles andere und beherrschten die Bildfläche. Ich versuchte es mit Hobbys, die meinen Verstand beschäftigten, damit der innere Bildschirmschoner nicht aktiv wurde: mit Lesen, Kochen und Logikrätseln. Eine Weile funktionierte es, aber früher oder später musste ich die Sachen wegräumen und ins Bett gehen, und dann lag ich allein im Dunkeln und kämpfte mit meinen Gedanken, bis ich mir auf die Zunge biss, auf meine Matratze einschlug und um Gnade flehte.
    Vor ein paar Jahren hatte jemand bei einer Beerdigungsfeier eine Stickarbeit vergessen, die Mom an die Wand gehängt hatte: »Achte auf deine Gedanken, denn sie werden deine Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden deine Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden
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