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Ich bin kein Serienkiller

Ich bin kein Serienkiller

Titel: Ich bin kein Serienkiller
Autoren: Dan Wells
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dein Schicksal.« Ich hatte versucht, mit den Gedanken zu beginnen, aber das hatte nichts gebracht. Also nahm ich an, das Nächstbeste seien Taten. Ich überwand mich, anderen Menschen wieder Komplimente zu machen, und blieb ihren Hinterhöfen fern. Im Grunde pflanzte ich mir eine pathologische Angst vor Fenstern ein, während ich mich zwang, nicht hineinzublicken. Die dunklen Gedanken waren noch da, aber meine Taten waren untadelig. Anders ausgedrückt gelang es mir ziemlich gut, so zu tun, als sei ich normal. Niemand, der mir auf der Straße begegnete, hätte vermutet, wie begierig ich ihn töten wollte.
    Es gab allerdings eine Regel, die ich nie wieder zur Diskussion stellte. Das Ungeheuer und ich zogen es aus unterschiedlichen Gründen vor, sie nicht zu beachten. Doch es war kaum eine Woche vergangen, als Mom mich nötigte, mich mit ihr zu beschäftigen. Wir aßen zu Abend und sahen mal wieder die Simpsons . Das war so ungefähr die einzige Gelegenheit, bei der wir uns unterhielten.
    »Wie geht es Brooke?«, fragte Mom. Sie stellte den Ton ab, ich starrte unverwandt zum Fernseher.
    Es geht ihr gut, dachte ich. Sie hat bald Geburtstag, und ich habe in ihrer Mülltonne die zusammengeknüllte Gästeliste für ihre Pyjamaparty gefunden. Sie mag Pferde, Mangas und die Musik der Achtzigerjahre, und sie ist immer spät dran und muss rennen, um den Schulbus nicht zu verpassen. Ich kenne ihren Stundenplan, ihren Notendurchschnitt, ihre Sozialversicherungsnummer und das Passwort für ihr Gmail-Konto.
    »Keine Ahnung«, sagte ich. »Es geht ihr sicher gut, aber ich sehe sie nicht oft.« Mir war völlig klar, dass ich sie eigentlich nicht beobachten durfte, aber … nun ja, ich tat es gern. Ich wollte sie nicht aufgeben.
    »Du solltest sie mal einladen«, schlug Mom vor.
    »Einladen?«
    »Du bist fünfzehn«, sagte sie. »Fast sechzehn. Das ist normal. Sie hat bestimmt keine Kopfläuse.«
    Aber ich habe wahrscheinlich welche.
    »Hast du vergessen, dass ich ein Soziopath bin?«, fragte ich. Mom runzelte die Stirn. »Ich bin nicht empathisch. Wie soll ich da mit jemandem eine Beziehung eingehen?«
    Es war der große Widerspruch meines Regelsystems. Wenn ich mich bemühte, nicht an die Menschen zu denken, an die ich am häufigsten denken wollte, vermied ich schlechte Beziehungen, aber ebenso auch die guten.
    »Wer sagt hier etwas von einer Beziehung?«, antwortete Mom. »Wenn du willst, kannst du warten, bis du dreißig bist, ehe du eine Beziehung eingehst. Das wäre für mich sowieso viel einfacher. Ich sage nur, dass du jung bist und etwas Spaß haben solltest.«
    Ich starrte die Wand an. »Ich kann nicht gut mit Menschen umgehen, Mom. Gerade du solltest das doch wissen.«
    Sie schwieg eine Weile, und ich stellte mir vor, was sie gerade tat – sie runzelte die Stirn, seufzte, schloss die Augen, dachte an den Abend, als ich sie mit einem Messer bedroht hatte.
    »Früher ging es dir besser«, erklärte sie. »Es war ein schwieriges Jahr, und du bist nicht mehr du selbst.«
    In den letzten paar Monaten war ich mehr ich selbst gewesen als je zuvor, aber das wollte ich ihr nicht unbedingt verraten.
    »Du darfst nicht vergessen, dass man alles lernen kann«, fuhr Mom fort. »Wenn du sagst, dass du nicht gut mit Menschen umgehen kannst, dann wirst du es nur lernen, indem du losziehst und es versuchst. Red mit anderen Menschen, verbring Zeit mit ihnen. Du entwickelst deine sozialen Fähigkeiten nicht, solange du hier bei mir herumsitzt.«
    Ich dachte an Brooke und die Gedanken, die mich so stark beschäftigten. Ein paar waren gut, einige andere dagegen äußerst gefährlich. Ich wollte Brooke nicht aufgeben, traute mir jedoch selbst nicht über den Weg, wenn sie in der Nähe war. So war es sicherer.
    Mom hatte andererseits nicht ganz unrecht. Ich warf einen raschen Blick zu ihr hinüber – das müde Gesicht, die abgenutzte Kleidung – und dachte daran, dass sie und Lauren einander sehr ähnlich waren. Auch mir war sie ähnlich. Sie verstand, was ich durchmachte, aber nicht aufgrund eigener Erfahrung, sondern durch reine, ungehinderte Empathie. Sie war meine Mom, sie kannte mich. Ich dagegen kannte sie fast gar nicht.
    »Wir könnten doch mit etwas Einfacherem beginnen«, erwiderte ich und biss von meiner Pizza ab. »Ich, na ja, ich lerne dich kennen, und von da aus klettere ich dann eine Stufe höher.« Ich blickte sie an und rechnete schon mit einem herablassenden Kommentar, wie ich denn meinen könne, es gehe von ihr aus
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