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Ich bin die Nacht

Ich bin die Nacht

Titel: Ich bin die Nacht
Autoren: Ethan Coss
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sich dem Sheriff gegenüber an den Tisch. »Ich höre.«
    »Ich will Ihre Fragen beantworten, aber ich bin neugierig. Woher wussten Sie, dass ich lebe?«
    »Es ist schwer, einen Mann mit einer Pistole zu töten, in der keine echten Kugeln sind. Es waren aber auch keine Platzpatronen, nicht wahr?«
    »Stimmt genau. Für die Spezialeffekte haben wir ein ausgezeichnetes Team. Es waren Platzpatronen, aber sie waren modifiziert. Wir gingen davon aus, dass Sie auf meine Brust zielen würden, deshalb trug ich Päckchen mit Kunstblut unter der Kleidung. Hätten Sie auf meinen Kopf gezielt, wäre ich so gefallen, dass Sie die vermeintlichen Wunden nicht hätten sehen können.«
    »Und wenn ich beschlossen hätte, Ihnen zur Sicherheit noch eine Kugel aus nächster Nähe durch den Kopf zu jagen?«
    »Dann hätten wir dieses Gespräch schon geführt.«
    Marcus schüttelte geringschätzig den Kopf. »Ich wusste von dem Augenblick an, als ich Maureen Hill fand, dass irgendwas faul ist.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Dass auch der Tatort dort nur gestellt war.«
    Der Sheriff zog die Augenbrauen hoch. »Ach ja? Erklären Sie es mir.«
    »Der Zustand der Frau deutete darauf hin, dass sie schon längere Zeit tot war, aber das Blut war relativ frisch. Es muss also später im Zimmer verteilt worden sein. Ihre Hände waren mit Pflöcken an die Wand genagelt. Dort hätte Blut austreten und die Wand hinunterlaufen müssen, aber hinter der Leiche befand sich kein Blut. Es gab auch keine Spritzer von den Schnittwunden. Sie konnte also erst nach ihrem Tod an die Wand genagelt worden sein. Auf dem Boden war auch keine Blutlache.«
    »Interessant«, sagte der Sheriff. »Erzählen Sie nur weiter.«
    »Ich bin kein Experte, aber sie sah wie eine Tote im Leichenschauhaus aus – als hätte sie in einem Kühlraum gelegen und wäre wieder aufgetaut worden. Ich nehme an, der Mord an Maureen war in Colorado verübt worden, in ihrem wirklichen Haus, und Sie haben die Leiche zu dieser Farm geschafft.«
    Der Sheriff beugte sich vor. »Wie kommen Sie auf Colorado? Und woher wissen Sie, dass es nicht Maureens Haus war, in dem Sie ihre Leiche gefunden haben?«
    Marcus kam sich vor wie in einer mündlichen Prüfung, aber das störte ihn nicht. Er würde mitspielen – vorerst. »Auf dem Tisch fand ich einen Briefumschlag mit ihrem Namen und einer Adresse in Colorado. Ich hatte andere Dinge im Kopf und nahm an, Maureen hätte vielleicht einen zweiten Wohnsitz oder bliebe zeitweise bei ihren Kindern. Doch es passt ins Bild, dass der Tatort gestellt war. Und als ich dort saß, erinnerte ich mich an das unbestimmte Gefühl, das mich überkommen hatte, als ich zum ersten Mal vor Maureens Haus stand: Es kam mir merkwürdig vertraut vor. Und dann fiel mir ein, wo ich es schon einmal gesehen hatte. Auf Ihrem Schreibtisch hatte ein Flugblatt gelegen, das für eine Auktion warb. Das Bild zeigte das Haus, in dem Maureen Hill angeblich gestorben war. Aber sie starb gar nicht in diesem Haus, was bedeutet, dass Ackerman sie nicht in dem Haus getötet hatte. Auch das war inszeniert. Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, wieso jemand so etwas tun sollte, und ich habe noch immer keine Antwort. Also, was ist hier los?«
    »Glauben Sie an das Schicksal?«
    Marcus musste an Ackerman denken. »In letzter Zeit bin ich mir bei nichts mehr sicher.«
    »Ich glaube fest an das Schicksal, und ich bin überzeugt, dass Sie der Mann sind, dem es bestimmt ist, auf diesem Stuhl zu sitzen. Seit dem Mord an Ihren Eltern sind Sie auf dem Weg hierher gewesen. Jetzt haben Sie das Ende dieses Weges erreicht und stehen am Anfang eines neuen. Ich sollte wohl damit beginnen, dass vieles, was Sie für wahr halten, nicht wahr ist, und ich bedaure, dass diese Täuschung nötig war. Erstens: Ihre Tante hat nie eine Ranch besessen und konnte Ihnen deshalb auch nie eine vererben. Die Ranch war nur Ihre Einladung zur Party. Zweitens … nun ja, vielleicht wäre es besser, wenn ich es Ihnen zeige.« Der Sheriff erhob sich. »Gehen wir ein Stück.«
    Marcus stand auf. Er kam sich vor, als wäre er in einem Traum gefangen, der ihn nicht mehr losließ.
    Der Sheriff verließ den Vernehmungsraum und ging über einen langen Korridor. Marcus folgte ihm. Er konnte nicht begreifen, weshalb der Sheriff einen solchen Aufwand betrieb.
    Wieso hat er mich überhaupt nach Asherton geholt?
    Sie kamen an mehreren offenen Türen vorbei, hinter denen sich Büros befanden. In einigen saßen Männer in Anzügen an
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