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Ich bin der letzte Jude

Ich bin der letzte Jude

Titel: Ich bin der letzte Jude
Autoren: Chil Rajchman
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Essen ausgegeben wird. Mein Freund und ich
versuchen, uns an unseren Nachbarn zu halten, da wir noch nicht wissen, wie das
abläuft. Jeder bemüht sich, möglichst nah an der Küche zu sein. Wir stellen uns
in Fünferreihen auf. Nach kurzer Zeit kommen wir an den Ausgabeschalter, aber
das kleine Fenster ist noch geschlossen. Wir warten ein paar Minuten, und dann,
während wir an dem Fensterchen vorbeimarschieren, bekommen wir die Suppe, die
wir schnell essen. Kurz darauf ist erneut das Signal zu hören. Wir müssen uns
in einer Reihe aufstellen, und dabei darf keine Minute verloren werden. Wer
seinen Platz nicht rechtzeitig einnimmt, bekommt Peitschenhiebe.
    Ich habe immer noch denselben Nachbarn. Ich nutze die paar Minuten
Pause und frage ihn, wie das mit dem Haareschneiden geht.
    Er erklärt mir: Wenn ein frischer Transport ankommt, ist sofort ein
    Mörder zur Stelle, immer derselbe. Er ist schon lange da, er heißt Kiwe 24 . Er brüllt: »Die
    Friseure!« Wir müssen uns auf der Stelle melden und werden zu den Gaskammern 25 gebracht, wo unsere
Brüder und Schwestern vergast werden. Mein Nachbar erklärt noch, dass wir die
Haare so schnell wie möglich abschneiden müssen, denn alles muss immer
besonders schnell gehen. Die Mörder passen genau auf, und wer zu langsam
schneidet, kriegt Schläge.
    Das Signal ertönt erneut. Dann wird jede Gruppe
inspiziert. Schließlich geht jeder wieder an seinen Platz und arbeitet weiter.
    Ich tue mein Bestes, um die Kleidungsstücke, so schnell ich nur
kann, zu durchsuchen, aber ich vergesse, dass wir uns nicht aufrichten dürfen.
Ich stehe ein paar Minuten da, und plötzlich nähert sich ein Verbrecher und schlägt
mich mörderisch. Dann fragt er, ob ich wisse, warum er mich geschlagen hat. Ich
antworte: »Jawohl!« . Der Schurke hat mich am Kopf
verletzt, das Blut rinnt mir übers Gesicht. Ich finde eine Flasche mit Wasser,
befeuchte ein Stück Stoff und lege mir den nassen Lappen auf die Wunde. Mein
Nachbar schreit:
    »Denk dran, den Kopf immer gesenkt zu halten, sonst kriegst du
wieder Schläge.«
    Ich bücke mich. Mit einer Hand halte ich den feuchten Lappen, mit
der anderen sortiere ich Kleider. Es blutet noch eine Weile, mein ganzes
Gesicht ist blutbedeckt. Mein Kamerad rät mir, das Blut wegzuwischen, denn wer
im Gesicht verwundet ist, wird erschossen.
    Ich wische das Blut ab und mache mich wieder an die Arbeit. Der
Vorarbeiter befiehlt mir, die sortierten Bündel zu einem Magazin zu bringen. Er
zeigt mir den Weg und belehrt mich noch, ich müsse mich beeilen, vor allem,
wenn ich mit leeren Händen zurückkomme. Ich greife ein Bündel und gehe zum
Lager mit den Herrenmänteln. Ich lege meine Ladung ab. Es gibt eine ganze Reihe
hoher Kleiderberge und über jedem ein Schild, das anzeigt, was sich an dieser
Stelle befindet.
    Ich kehre schnell zu meinem Ausgangspunkt zurück, und bei dem
ständigen Hin und Her mache ich mich mit den Örtlichkeiten vertraut und weiß
schließlich, wo was hingehört. Aber es geht alles zu schnell. Ununterbrochen
sind die Mörder mit ihren Peitschen da und brüllen:
    »Schneller, bewegt euch!«
    Von Zeit zu Zeit befehlen sie, dass wir uns auf den Boden legen
sollen, und sie verpassen jedem von uns ein paar kräftige Peitschenhiebe, nach
denen wir sofort aufstehen und weiterarbeiten müssen.
    So sieht unsere Arbeit aus.

5
    Die erste Nacht in der Baracke.
Mojsche Etinger erzählt, wie er sich gerettet hat, was er sich nicht verzeihen kann.
Wir sprechen das Abendgebet und das Kaddisch.
    Die Uhr schlägt sechs. Das Trompetensignal ertönt. Wir
lassen die Arbeit liegen und stellen uns in Fünferreihen zum Appell auf. Der Lagerälteste
Galewski, ein jüdischer Ingenieur, zählt uns und macht Meldung davon. Ein Orchester
ist zu hören, wir gehen nach rechts in Richtung Küche. Das Fenster wird
geöffnet. Wir rücken in Reihen zur Suppenausgabe vor. Dann werden wir in die
Schlafbaracke gegenüber der Küche geschickt. Sie ist schon voll, wir müssen uns
auf den Boden legen.
    Ich schaue Lejbl an, er schaut mich an, und die Tränen fließen, als
würde es regnen. Einer fragt den andern: »Warum weinst du?« Ich kann nicht
antworten, ich habe die Sprache verloren. Wir versuchen, uns gegenseitig zu
trösten, soweit wir das können.
    »Lejbl, gestern zu dieser Stunde hat meine Schwester noch gelebt.«
    Er antwortet:
    »Und meine ganze Familie, alle Verwandten und die zwölftausend
unglücklichen Juden aus meiner Stadt.«
    Aber wir sind am Leben, und
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