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Ich bin der letzte Jude

Ich bin der letzte Jude

Titel: Ich bin der letzte Jude
Autoren: Chil Rajchman
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hier
vor?« Einer antwortet mir: »Mein Bruder, frag nicht weiter, wir sind verloren!«
    Wir müssen so schnell von einem Ort zum andern laufen,
dass ich die Orientierung verliere. Wir laufen mehrmals hin und her, bis die
Rampe frei ist, dann werden wir wieder zu den Kleidungsstücken geführt. Uns
wird befohlen, die paarweise zusammengebundenen Schuhe zu einem Haufen zu
bringen, der so hoch ist wie ein vierstöckiges Gebäude und nur aus Schuhen besteht,
aus Zehntausenden Paaren von Schuhen. Nach den Schuhen ist die Männerbekleidung
an der Reihe. Wir werden zu einem anderen Kleiderberg geführt. Sobald wir alle
Sachen weggeschafft haben, treibt man uns zu den Baracken, in denen sich die
Frauen ausgezogen haben. Die Kleider der armen Frauen liegen auf der Erde
herum. Irgendwo darunter sind auch die meiner kleinen Schwester. Ich schaue
mich um, es ist niemand mehr da. Man hat alle Frauen weggebracht. Ich vergesse
mich für einen Augenblick, deshalb klaube ich einen zu leichten Packen zusammen
und kriege einen so mörderischen Peitschenhieb verpasst, dass ich fast
ohnmächtig werde. Der Verbrecher brüllt mich an: »Du Hund, der Packen ist zu
klein!«
    Ohne zu überlegen, bücke ich mich, breite die Arme so weit wie
möglich aus und greife in aller Eile so viel, wie ich nur kann. Ich renne raus,
denn die Letzten werden mörderisch geschlagen.
    Wir rennen mehrmals hin und her, und auf dem ganzen Weg gehen
Peitschenhiebe auf unsere Köpfe nieder.

3
    Beschreibung des Lagers. 21
    Treblinka ist fachmännisch angelegt. Auf den ersten Blick
könnte man glauben, es handelt sich um einen gewöhnlichen Bahnhof. Der
Bahnsteig ist lang genug für einen normalen Zug mit bis zu vierzig Waggons. Ein
paar Meter vom Bahnsteig entfernt stehen sich zwei Baracken gegenüber. In der
rechten werden die Lebensmittel gelagert, die die Menschen in ihrem Gepäck
mitgebracht haben. In der linken ziehen sich die Frauen und Kinder aus. Die
Mörder sind so höflich, dass sie von den Frauen nicht verlangen, sich im Freien
zusammen mit den Männern zu entkleiden. Auf dem Weg in den Tod, dem Weg ohne
Rückkehr, treffen sich die Männer und Frauen nackt wieder.
    Links vom Bahnsteig stehen ein paar Holzbauten, darunter die Küche
und die Werkstätten. Gegenüber sind die Schlafbaracken. Die Wohnbaracke der SS -Wachmannschaft liegt nicht weit davon entfernt. Sie
ist mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet. Rechts vom Bahnsteig der große
Platz, auf dem die Kleidungsstücke aufgetürmt werden: Schuhe, Kleider, Wäsche
und verschiedene andere Sachen. Die Gefangenen sortieren die Kleidungsstücke
und schaffen sie an einen besonderen Ort, wo sie liegen bleiben, bis sie in
Güterwagen nach Deutschland gebracht werden.
    Der Zugang zu den Gaskammern beginnt bei den Baracken gegenüber vom
    Bahnsteig. Er wird Schlauch 22 genannt. Er ist von Sträuchern
gesäumt und sieht aus wie die Allee in einem öffentlichen Park. Diesen Weg, der
mit weißem Sand ausgeschüttet ist, müssen alle nackt entlanglaufen. Niemand
kommt von da zurück. Alle werden brutal geknüppelt und mit dem Bajonett
traktiert. Danach ist die Allee aus weißem Sand voller Blut.
    Eine besondere Kolonne, die »Schlauchkolonne«, kommt nach jedem
Transport, um sauber zu machen und frischen Sand auszustreuen, damit die neuen
Opfer nichts merken.
    Im Schlauch kann man an einem Schalter, der von einem Deutschen oder
einem Ukrainer besetzt ist, noch das letzte Mitgenommene abgeben.
    Am Ende des Schlauchs gelangt man in ein weißes Gebäude,
an dem ein großer Davidsstern angebracht ist. Ein Deutscher steht auf den
Stufen, er weist auf den Eingang und sagt lächelnd: » Bitte,
bitte! « Die wenigen Stufen führen in einen blumengeschmückten Korridor.
An der Wand hängen lange Handtücher.
    Die Gaskammer misst sieben mal sieben Meter. In der Mitte des Raums
befinden sich Brausen, durch die das Gas einströmt. Entlang der Wand verläuft
ein dickes Rohr, durch das die Luft abgesaugt wird. Die Türen sind rundherum
abgedichtet. 23
    In dem Gebäude befinden sich zehn solcher Gaskammern. Etwas weiter
entfernt steht ein kleinerer Bau mit drei Gaskammern.
    An der Tür treiben SS -Männer die Leute
ins Innere. Sie bewegen andauernd ihre Arme und schreien mit teuflischer
Stimme: »Schneller, schneller, los!«

4
    Ich werde als Friseur ausgesucht.
    Bis zur Ankunft der frischen Transporte sortiere ich
Kleidungsstücke. Einmal richte ich mich auf, sofort werde ich geschlagen und
blute. Fast verliere ich das
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