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Ich bin der letzte Jude

Ich bin der letzte Jude

Titel: Ich bin der letzte Jude
Autoren: Chil Rajchman
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aus ihrem
Haar und schreit mich an: »Schnell! Tun Sie, was Sie tun wollen! Sie können mir
auch ein Stück Fleisch aus meinem Kopf schneiden. Ich weiß, dass ich verloren
bin …«
    Ja, wir sind alle verloren.
    Eine ältere Frau fragt mich, ob alle Männer für die Arbeit
ausgewählt wurden. Sie weiß, dass sie in den Tod geht, aber es würde sie
glücklich machen zu wissen, dass ihr Sohn am Leben bleibt. Ich erfinde eine
Antwort, um sie zu beruhigen. Sie bedankt sich und freut sich, dass ihr Sohn am
Leben bleiben und die Mörder rächen wird.
    So ziehen Hunderte von Frauen unter Schreien und Schluchzen an mir
vorbei. Ich bin in einen teuflischen Automaten verwandelt worden, der ihnen das
Haar wegnimmt.
    Plötzlich bricht der Strom der Opfer ab: Die Gaskammern
sind voll. Der Mörder, der an der Tür zu unserer Zelle steht, ruft eine halbe
Stunde Pause aus und verschwindet. Die Ukrainer und ein paar SS -Männer bleiben bei uns. Ich nutze die Zeit zum
Nachdenken und werde mir des Grauens, dieser Hölle, bewusst. Die Mörder zwingen
uns, unsere Schwestern kahl zu scheren, wenige Minuten bevor sie in den Tod
geschickt werden, und wir, Tote auf Abruf, gehorchen unter der Macht der
Peitsche. Uns ist der Verstand genommen worden. Für diese Mörder sind wir nur
Werkzeuge. Der Freund, der neben mir sortiert hat, sagt leise zu mir: »Wie du
dich verändert hast! Ich erkenne dich nicht wieder!«
    Ich antworte nicht, und er drängt nicht weiter.
    Nach ein paar Minuten kommen die Mörder herein und befehlen uns, ein
Lied zu singen, ein schönes Lied.
    Die Veteranen unter den Friseuren wissen schon, was das bedeutet:
Wenn wir nicht singen, werden wir bestialisch geprügelt. Aus Furcht vor den
Schlägen beginnen einige zu singen. Ich bin entsetzt: Nebenan werden Menschen
vergast, und wir sollen singen. Ein Mörder, der meinen geschlossenen Mund
gesehen hat, schreit mich an: »Du Hund, willst du eins in die Fresse?«
    Ich reiße den Mund auf und tue so, als würde ich singen. Wir sollen
die Mörder fröhlich machen, sie sollen sich vergnügen.
    Ab und zu geht einer von denen in den Korridor und schaut durch eine
Luke, um zu prüfen, ob die armen Opfer schon tot sind.
    So vergeht eine halbe Stunde. Ein Mörder kommt, um zu verkünden,
dass die Arbeit weitergeht. Wir gehen wieder an unsere Plätze, um frische Opfer
in Empfang zu nehmen. Wieder ertönt das jämmerliche Weinen, und kurz darauf
erscheinen die nackten Frauen.
    Die Arbeit geht ohne Störung weiter. Nach einer Stunde ist der
Transport abgefertigt. Mehrere Tausend Personen sind vergast worden.

7
    Neue Transporte.
Mit Schma Israel in die Gaskammer.
Unser erster Entschluss zu fliehen.
Meine letzten Tage im Lager Nr. 1.
    Die Arbeit ist beendet. Der Lagerchef meldet, dass der
Transport erledigt ist. Wir schließen die Koffer und stellen sie in eine Ecke.
Sofort werden wir auf den Platz getrieben, und unter einem Regen von
Peitschenhieben müssen wir vergessen, dass wir gerade Tausenden von Frauen das
Haar geschoren haben. Unter der Aufsicht der Mörder müssen wir von Neuem nach
Gold, Devisen und Wertgegenständen suchen und immer weiter Kleidungsstücke
sortieren. Der Lagerchef bedeutet unserem Vorarbeiter Szer aus Czestochowa,
dass bis Mittag der Haufen Scheiße fortgeschafft sein
muss. Hin und wieder kommen SS -Männer und suchen
sich schmucke Anzüge, schöne Uhren oder elegante Kleider für ihre Frauen aus.
Wir beeilen uns, damit wir mit dem Haufen rechtzeitig fertig werden.
    Die Uhr schlägt zwölf. Während wir vor der Küche warten,
hören wir eine Lokomotive ins Lager einfahren, die frische Opfer herbeischleppt.
Dieselben Güterwagen tauchen auf, die Türen öffnen sich, die Insassen werden,
wie immer, mit Gewehrkolben und Peitschen rausgetrieben. Nach ein paar Minuten
kommt der Obermörder-Chef des Lagers und schreit: »Friseure, antreten!« Zum
Essen haben wir keine Zeit. Wir werden sofort zu den Gaskammern geschickt,
damit wir unsere schmutzige Arbeit erledigen. Und wieder das traurige Bild:
Frische Opfer treten an. Sie kommen aus Ostrowiec. Binnen einer Stunde sind sie
abgefertigt.
    Eine junge Frau sitzt vor mir. Ich schneide ihr das Haar
ab, sie nimmt meine Hand und bittet mich, nicht zu vergessen, dass auch ich ein
Jude bin. Sie weiß, dass sie verloren ist. »Vergiss nicht«, sagt sie, »du
siehst doch, was mit uns gemacht wird. Ich wünsche dir, dass du das überlebst,
damit du unser unschuldiges Blut rächen kannst, das nicht zur Ruhe kommen
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