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Ich bin der letzte Jude

Ich bin der letzte Jude

Titel: Ich bin der letzte Jude
Autoren: Chil Rajchman
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werden. Ich kontrolliere
noch einmal meine Taschen und finde hundert Zloty. Ich bleibe ganz ruhig, und
ohne zu zögern stecke ich den Schein in den Mund. Die Mörder haben nichts
gesehen, und während sie uns die Scheren und Rasierer wegnehmen, müssen wir uns
in Fünferreihen aufstellen und in dieselbe Richtung gehen wie die, die vergast
werden. Aber anstatt uns in die Gaskammer zu schicken, bringen sie uns ins
Lager Nr. 2, das viel schlimmer als die Gaskammer ist.

8
    Treblinka – Lager Nr. 2.
Ich werde Leichenträger.
Wir ziehen den Toten die Goldzähne.
Die Technik des Leichentragens.
    Wir werden in diesem traurigen Lager mit Peitschenhieben
empfangen, unaufhörlich regnen sie auf uns nieder. Die Arbeit, die uns
zugeteilt wird, besteht darin, den Sand von einem Haufen auf eine Trage zu
schaufeln und zu einem anderen Haufen zu schaffen. Kaum angekommen, bin ich der
Ohnmacht nahe. Ich weiß noch nicht, was ich da schleppe und wohin. Als ich an
die Stelle komme, wo die Tragen geleert werden, wird mir klar, dass wir den
Sand auf Leichen schütten, die in die Grube geworfen worden sind.
    Es gelingt mir nicht, zu klarem Bewusstsein zu kommen, denn man
lässt uns keine Sekunde in Ruhe. Wir müssen die Tragen in aller Eile mit Sand
füllen, damit loslaufen, den Sand auf die Opfer schütten und sofort wieder
umkehren. Wir schwitzen. Ich ziehe meine Jacke aus, aber es nutzt nichts. Die
Mörder sind überall, sie schwingen lange Peitschen über unseren Köpfen. Ich
gebe meine letzten Kräfte her. Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten.
Ein Mörder kommt auf mich zu und peitscht unaufhörlich auf mich ein: »Du Hund,
meine Peitsche ist jeden Tag um diese Zeit schon abgenutzt, aber heute ist sie
noch ganz!«
    Er schlägt weiter auf mich ein, ich habe Schaum auf den
Lippen. Ich spüre, wie mich die Kräfte verlassen. Meine Kameraden werden
genauso behandelt. Ein Mörder steht an der Seite und beobachtet, wie wir
arbeiten. Eine Stunde später macht sich der Verbrecher ans Werk: Nacheinander
ruft er einige von uns auf, befiehlt jedem, sich auszuziehen und in die Grube
zu steigen. Das Opfer muss sich vornüberbeugen, bekommt eine Kugel in den Kopf
und fällt auf die Leichen, die den Boden bedecken.
    Nach etwa fünfzehn Minuten fehlen an die zwanzig meiner Kameraden.
Unsere Gruppe ist schon klein geworden: Um mich herum ist kaum noch jemand. Mir
wird klar, dass ich bald an der Reihe sein werde. Ich weiß nicht, woher ich die
Kraft nehme, aber ich arbeite mit einer solchen Energie weiter, dass der Mörder
mit der Peitsche zu mir sagt: »Du arbeitest gut, ich werde dich nicht töten.«
    Ich schwanke, ich kann nicht mehr. Der Kamerad neben mir sagt, dass
ich durchhalten soll. Er ist ein bisschen kräftiger als ich und will mir
helfen. Er füllt meine Trage, damit ich mich einen Moment ausruhen kann.
    Es ist ungefähr vier Uhr. Von den dreißig Kameraden, die mit mir
hierhergebracht worden sind, sehe ich nur noch sechs, die überlebt haben. Die
anderen mussten sich nacheinander nackt ausziehen und in die Grube steigen,
dann bekamen sie eine Kugel in den Kopf. Nicht einmal ein Stöhnen war zu hören.
In der Grube reihen zwei Arbeiter die Toten nebeneinander.
    Plötzlich taucht ein anderer Mörder auf. Wir sollen die Tragen
wegräumen, dann teilt er uns für eine andere Aufgabe ein. Er befiehlt uns, eine
Trage zu nehmen, die wie eine Leiter aussieht und voller Blut ist. Wir nehmen
zu zweit eine solche Bahre. Er treibt uns zu einem Gebäude, das etwas weiter
weg liegt. Im Innern bilden leblose Menschenwesen einen etwa stockwerkhohen
Haufen. Das sind die Vergasten.
    Wir dürfen nicht lang überlegen, denn die Peitschen fliegen über
unsere Köpfe. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich schaue mich um. Ich sehe
Juden, die mit leeren Tragen herumrennen, diese eilig abstellen und sich auf
einen Leichenhaufen stürzen. Einer fasst den Toten an einem Arm, ein anderer am
zweiten Arm, sie zerren ihn aus dem Haufen, schleifen ihn bis zur Trage und
machen sich im Laufschritt davon.
    Ich versuche es ihnen gleich zu tun, aber es fällt mir schwer, so
sehr erschüttert mich der Anblick. Ich packe einen Toten am Arm, mein Kamerad
fasst ihn am andern, damit wir ihn aus dem Haufen ziehen, aber es gelingt uns
nicht. Der Mörder hat gesehen, dass wir uns schon seit ein paar Minuten
abmühen, er kommt zu uns gerannt und schlägt auf uns ein. Wir bluten im
Gesicht, kümmern uns aber nicht darum. Wir versuchen, einen anderen Toten aus
dem Haufen
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