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Icarus

Icarus

Titel: Icarus
Autoren: Russell Andrews
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Kopf.
    »Nur ich?«
    Nicken.
    »Gut«, sagte sie, und ihr Lächeln haute ihn regelrecht vom Stuhl, so wundervoll war es. »Möchtest du mit zu meinen Freunden kommen?«
    Er schüttelte den Kopf erneut. Fast unmerklich.
    »Es ist schwierig, ständig nur Ja-oder Nein-Fragen zu stellen.« Als er die Achseln zuckte, sagte sie: »Weil du ein Snob bist und sie für Arschlöcher hältst? Meine Freunde, meine ich. Möchtest du dich deshalb nicht zu uns setzen?«
    Er nickte. Es war das unglücklichste Nicken seines Lebens.
    »Hmmm. Irgendwie hast du recht. Hast du denn etwas dagegen, wenn ich bei dir sitzen bleibe?«
    Er schüttelte den Kopf. Das glücklichste Kopfschütteln seines Lebens.
    Nachdem sie beim Kellner ein Getränk bestellt hatte, ein Dunkelbier, sagte Caroline: »Möchtest du wissen, warum ich bei dir sitze?«
    Er nickte.
    »Weil ich diese Musik liebe. Und meine Freunde begreifen das nicht. Du schon, das konnte ich erkennen, indem ich dich beobachtete. Daher wollte ich bei jemandem sein, der es versteht. Glaubst du das?«
    Ein weiteres Kopfnicken.
    »Gut. Damit du es weißt, das ist der einzige Grund. Ansonsten finde ich nicht, daß du irgendwie interessant oder anders bist. Du bist genauso wie alle anderen, die ich kenne, und außerdem siehst du gar nicht sooo gut aus.«
    »Magst du italienisches Essen?« fragte er. Die ersten Worte, die er zu ihr sagte.
    Sie sah ihn an, als ob es sie überraschte, daß er überhaupt reden konnte. Dann nickte sie.
    »Würdest du morgen abend mit mir essen gehen?«
    Sie musterte ihn wieder, diesmal nicht überrascht, sondern mit einem langen Blick, als suche sie nach etwas. Und was immer es war, sie fand es, denn sie nickte abermals. Fest und entschlossen.
    »Was ist los«, sagte er, »kannst du nicht sprechen?«
    Diesmal schenkte sie ihm wieder ihr Lächeln und schüttelte den Kopf, ein langes, langsames, sanftes, reizendes, absolut perfektes Kopfschütteln.
    Seitdem waren sie fast jede freie Minute zusammen. Aber es dauerte vier Monate, bis er wußte, daß er sie wirklich liebte, daß er sie heiraten mußte.
    Es war an dem Tag, an dem sie Dominick Bertolini kennenlernte.
    Nachdem seine Mutter gestorben war, zog Jack in Doms Zwei-Zimmer-Apartment in Hell’s Kitchen. Es war für sie beide das Natürlichste von der Welt. Sie verstanden einander, und jeder stellte eine notwendige und tröstliche Verbindung zur Vergangenheit dar, ohne daß sie jemals darüber reden mußten.
    Als junger Teenager arbeitete Jack nach der Schule in Doms Fleischfabrik in der Gansvoort Street. Der Fleisch-Distrikt, wo er die meisten Nachmittage und Abende verbrachte, war für Jack keine fremdartige Umgebung, ganz im Gegenteil – dort war er am liebsten, denn hier fühlte er sich erwachsen. Dom bezahlte ihn gut, und der Junge mochte die Arbeit. Er war stark genug, um ganze Rinderhälften zu stemmen und zu schleppen, sogar stark genug, um fast alles durchzuhacken. Das Blut störte ihn nicht. Es gehörte zum Job. Er liebte sogar die kalten Räume, das Sägemehl auf den Fußböden, die kahlen Wände, die Rümpfe, die an den Haken hingen und ihn umringten. Er liebte die Nähe Doms, lauschte gern seinen Geschichten von den alten Zeiten in New York, von den Salons, den Persönlichkeiten, von der Verrufenheit, die ihn auf Schritt und Tritt begleitete. Es war eine Männerwelt, und Jack fühlte sich wohl darin. Und er blieb dort und war glücklich, bis er alt genug war, um achtzig Blocks weiter in die Stadt zu ziehen und das College zu besuchen.
    Aber Jack brauchte einige Zeit, bis er Caroline zum erstenmal dorthin mitnahm, um ihr Dom vorzustellen und ihr die andere Seite seines Lebens zu zeigen, von dem sie keine Ahnung hatte. Obwohl sie sich mehrere Monate lang regelmäßig getroffen hatten, war er deshalb nervös. Es war eine fremde Welt für sie, so fremd, wie ihre Welt, die sie ihm beschrieb, für ihn sein würde. Während ihre eine Welt der Privilegien und Kultiviertheit war, wurde seine Welt von Schweiß und schwerer Arbeit und dem Kampf ums Überleben beherrscht. Er sagte ihr, daß er Angst hätte, sie dorthin zu bringen. Nicht die Angst, daß ihr seine Welt nicht gefiel – das würde ihn zwar nicht gerade glücklich machen, aber damit würde er zurechtkommen –; es war die Angst, daß sie ihn dazu bringen könnte, diese Welt ebenfalls abzulehnen.
    Sie sagte nichts, als er ihr das gestand. Sie sagte nur, daß sie ihn verstehe. Dann, nach ein paar Monaten, sie aßen gerade zu Abend – er hatte sie zu
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