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Icarus

Icarus

Titel: Icarus
Autoren: Russell Andrews
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Sie war gütig und stark genug gewesen, so daß er ihr vertrauen und ihr die Wahrheit erzählen konnte, oder zumindest die Wahrheit, wie Kid sie vermutet hatte. Diese Wahrheit hatte ihr den Tod gebracht, und er dachte, daß die Wahrheit das sehr oft tat. Deshalb tat jeder so, als ob. Deshalb wurde jeder ein Alias-Typ. Um zu versuchen, dem zu entkommen, was einen am Ende unweigerlich vernichtete.
    Er wußte auch noch etwas anderes, und das war ihm wichtig. Caroline hatte sich für ihn entschieden. Die Affäre war in Virginia beendet worden, und sie war zu ihm zurückgekommen. Es gab eine Wahrheit, die nicht den Tod brachte, und eine Empfindung, die man nicht meiden mußte, und das war Liebe. Caroline hatte ihn geliebt, und er hatte sie geliebt, und das war die einzige Wahrheit, die er wissen mußte. Es war das einzige in der Vergangenheit, das wirklich zählte.
    Nach seinem Kampf mit Bryan hatte er einiges über Emma erfahren. Wie sich herausstellte, hatte sie ein Tagebuch geführt. Es war nach ihrer Ermordung gefunden worden, und die Polizei hatte ihm gestattet, die wichtigen Passagen zu lesen. Er hatte nichts geahnt von ihrer Obsession für ihn. Sie hatte all die Jahre angedauert. Er hatte auch nichts von ihren Attacken auf Caroline gewußt, und diese Erkenntnis tat ihm weh. Emma und Kid, das war eine unwahrscheinliche und schreckliche Laune des Schicksals gewesen. Emma war nach New York gezogen, nachdem ihre Firma sie dorthin versetzt hatte, und sie hatte Jack auf der Straße in der Nähe seiner Wohnung gesehen. Es war ein reiner Zufall gewesen. Kid war damals bei ihm gewesen. Dann hatten Kid und Emma sich in einem Club kennengelernt, in dem er Stammgast war. Sie hatte ihn sofort wiedererkannt, und in all den Jahren hatte die Obsession sich halten können. Sie entschied, sich mit ihm zu treffen und ihn zu verführen, und damit hatte sie ihre Verbindung zu Jack. Nach und nach war Kid ihr verfallen, und zwar vollkommen, was Jack durchaus verstehen konnte. Und sie hatte in derselben Zeit mehr und mehr an Informationen erhalten. In ihrem Tagebuch konnte Jack nachlesen, daß die Erinnerung an ihre unerfüllte Beziehung ihr viele Konflikte beschert hatte. Sie genoß ihr Leben mit Kid, aber sie konnte die Vergangenheit nicht verdrängen. Auch sie konnte ihre Geister nicht abschütteln. Schließlich hatte sie Kid von ihrer Vergangenheit mit Jack erzählt, und das hatte ihn regelrecht niedergeschmettert. Sie schrieb in ihr Tagebuch: »Er wollte immer Jack Keller sein, hatte sich in dessen Ehefrau verliebt und nun in dessen Geliebte, daher hatte sich, auf gewisse Art und Weise, sein Traum erfüllt.«
    Jack konnte das Ausmaß von Kids innerem Aufruhr nicht ermessen. Das Wissen, daß er Bryan auf die Welt losgelassen hatte. Die Kenntnis davon, was er in Gang gesetzt hatte. Aber Jack verstand einen Punkt voll und ganz.
    Es wurde Zeit, Kids Welt zu verlassen.
    Vielleicht war er deshalb dort hinausgefahren. Um auf Wiedersehen zu sagen.
    Jack schaute hoch, und Grace nickte. Sie verließen den Friedhof, noch immer Hand in Hand, und spazierten zurück zur Fähre.
    »Ich habe die Publicity überlebt«, sagte sie während des Spaziergangs.
    »Ich wußte, du würdest es schaffen«, sagte er.
    »Die Daily News schrieben, ich hätte mich selbst erlöst. Ich wäre Der Todesengel, der Die Heldin wurde.«
    »Es ist vorbei, Grace. Es ist alles vorbei, und es ist nicht mehr wichtig.«
    »Weißt du, was ich denke?« fragte Grace.
    »Was denn?«
    »Ich glaube nicht, daß man sich selbst erlösen kann. Ich weiß nicht, ob es überhaupt etwas gibt, das erlöst werden kann. Ich glaube, man tut einfach, was man tut, und man ist, was man ist.«
    Sie gingen schweigend weiter, bis die Landungsbrücke der Fähre in Sicht kam. »Was ist mit uns?« fragte Grace dann. »Ist es mit uns auch vorbei?«
    Jack blieb stehen. Er sagte: »Ich weiß es nicht. Ich denke …« Er lächelte. »Ich weiß nicht, was ich denken soll, verdammt noch mal, außer, daß alles anders ist und ich einfach sehen muß, wie das Leben jetzt ist.«
    »Ich auch«, sagte sie. »Aber ich würde dich gern wiedersehen.«
    »Ich dich auch«, meinte Jack.
    »Nun, das ist doch schon etwas, nicht wahr?«
    Er nahm ihre Hand, und sie gingen weiter. Vor ihnen legte gerade die Fähre an. »Ja«, sagte er, »das ist ganz sicher schon etwas.«
    Als Jack das letzte Mal in Italien gewesen war, hatte Caroline ihn begleitet. Er war damals jung, und die Zukunft hatte für ihn nichts anderes als Glück
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