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Titel: iBoy
Autoren: Kevin Brooks
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wieder die Augen und schaute mich – ohne den Kopf zu bewegen – um.
    Ich lag in einem kleinen weißen Zimmer. Neben meinem Bett standen Geräte. Instrumente, Behälter, Infusionsflaschen, Messgeräte, LE D-Displays . Diverse Teile meines Körpers waren über ein geordnetes Wirrwarr durchsichtiger Kunststoffleitungen mit einigen der Geräte verbunden und eine Menge dünner schwarzer Drähte führte von einem anderen Gerät direkt zu meinem Kopf.
    Krankenzimmer   …
    Ich war in einem Krankenhaus.
    |14|
Was soll’
s
, sagte ich mir.
Kein Problem. Du bist im Krankenhaus, na und? Kein Grund, dich aufzuregen.
    Als ich die Augen wieder zumachte und versuchte, mit den Schmerzen in meinem Kopf klarzukommen, hörte ich plötzlich ein scharfes Einatmen links von mir – ein eindeutig menschliches Geräusch   –, und als ich die Augen aufschlug und den Kopf drehte, war ich extrem erleichtert, die vertraute Gestalt meiner Oma zu sehen, so zerzaust wie immer. Sie saß auf einem Stuhl an der Wand, den Laptop auf den Knien und die Finger über der Tastatur. Sie starrte mich mit einem Blick an, der eine Mischung aus Schock, Fassungslosigkeit und Freude verriet.
    Ich lächelte sie an.
    »Tommy«, flüsterte sie. »Oh, Gott sei Dank   …«
    Und dann geschah etwas
wirklich
Merkwürdiges.
     
    Wie beschreibt man etwas Unbeschreibliches? Ich meine, wie beschreibt man etwas, das jenseits allen menschlichen Fassungsvermögens liegt? Wie fängt man überhaupt nur
an
, etwas Derartiges zu erklären? Ich glaube, es ist ein bisschen wie der Versuch zu beschreiben, auf welche Weise Fledermäuse Dinge wahrnehmen. Eine Fledermaus erfährt die Welt per Echolot; sie gibt Geräusche von sich und bestimmt Ort, Größe und Art der Dinge um sich herum durch das Echo, das die Dinge erzeugen. Obwohl wir Menschen den Vorgang begreifen und uns sogar vorstellen können, haben wir überhaupt keine Chance, das Ganze selbst zu erleben, und können deshalb die sinnliche Erfahrung unmöglich beschreiben.
    In meinem Fall war das, was ich in meinem Kopf erlebte, als ich meine Oma ansah und sie meinen Namen flüsterte, so unendlich fremdartig, so ganz und gar anders als alles, was ich jemals erlebt hatte, dass ich es gedanklich überhaupt nicht |15| fassen konnte. Es war da, es geschah und es geschah eindeutig mir, lief
in
mir drin ab   … aber es konnte unmöglich etwas mit mir zu tun haben.
    Das konnte alles gar nicht
sein
.
    Aber es geschah trotzdem.
    Am besten lässt es sich vielleicht so beschreiben: Stell dir eine Milliarde Bienen vor. Stell dir das Geräusch von einer Milliarde Bienen vor, den Anblick von einer Milliarde Bienen, das
Gefühl
von einer Milliarde Bienen. Stell dir ihre Bewegung vor, ihr Zusammenspiel, ihr
Sein
. Und dann versuch dir vorzustellen, dass diese Bienen gar keine Bienen sind, und auch die Geräusche, die Bilder, die Gefühle sind gar keine wirklichen Geräusche, Bilder oder Gefühle. Sie sind etwas anderes. Informationen. Fakten. Daten. Es sind Worte und Stimmen und Filme und Zahlen, endlose Ströme von Nullen und Einsen, aber gleichzeitig auch wieder
nichts
dergleichen   … sondern irgendwie nur etwas, was für diese Dinge steht. Es sind Darstellungen von Bestandteilen, Bausteine, Raster, Partikel, Wellen   … es sind Symbole dafür, was die Dinge
sind
. Und dann versuch dir, wenn du kannst, vorzustellen, dass du nicht nur alles, was diese Milliarden Nicht-Bienen angeht, gleichzeitig wahrnehmen kannst – ihr kollektives Nicht-Geräusch, Nicht-Bild, Nicht-Gefühl   –, sondern auch alles, was jede einzelne Nicht-Biene angeht   … und das alles gleichzeitig. Und beide Wahrnehmungen erfolgen aus dem Augenblick heraus. Fortlaufend. Untrennbar.
    Kannst du dir das vorstellen?
    Du liegst in einem Krankenhausbett, lächelst deine Oma an, und gerade als sie dich ansieht und deinen Namen flüstert – »Tommy. Oh, Gott sei Dank   …«   –, erwachen in deinem Kopf mit einem Schlag Milliarden von Nicht-Bienen zum Leben.
    Kannst du dir das vorstellen?
     
    |16| Es geschah praktisch außerhalb der Zeit. Einerseits dauerte es weniger als einen Moment, weniger als einen Augenblick   … es war eine unvorhersehbare, urplötzliche Explosion verrückter Dinge in meinem Kopf. Andererseits dauerte es genau genommen nicht einmal weniger als einen Moment. Es
dauerte
überhaupt nicht. Es geschah ohne Zeit, jenseits von Zeit   … als ob »immer da« und »nie da« ein und dasselbe wären.
    Es tat nicht weh, dieses Unfassbare,
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