Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht
Autoren: Sylvia Madsack
Vom Netzwerk:
meine Mobilnummer, falls ich Ihnen doch noch irgendwie behilflich sein kann.« Der Briefumschlag verschwand in der Innentasche seines Sakkos.
    Zusammen mit Stanislaw kehrte er zu Joanna und Igor zurück. »Leb wohl, Joanna, oder soll ich sagen, auf Wiedersehen?« Er streckte ihr die Hand entgegen, doch sie beugte sich vor, nahm ihn bei den Schultern und küsste ihn auf die Wangen.
    »Warum nicht auf Wiedersehen?«, erwiderte sie leichthin. »Danke für alles, Tomas. Und gib auf dich acht. Gute Heimreise.«
    Stanislaw deutete auf seine Armbanduhr. »Wir haben morgen ebenfalls einen weiten Weg vor uns.«
    Erneut warf ihm Joanna einen unwilligen Blick zu. Tomas verneigte sich leicht, sein Rücken bildete eine sehr gerade Linie. »Ich wünsche auch Ihnen beiden eine gute Fahrt morgen, Graf Stanislaw. Joanna …« Er lächelte ihr zu.
    Igor hatte diese Abschiedsszene aufmerksam verfolgt, und als Tomas sich zu ihm hinabbeugte, um ihn hinter den Ohren zu kraulen, begann er verhalten zu wedeln.
    Tomas richtete sich auf und wandte sich zum Ausgang. An der Drehtür blieb er einen Moment stehen, blickte zurück und hob die Hand zu einem stummen Gruß. Dann war er fort.
    *
    Sie saßen in der Bar des Hotels, Igor lag zu ihren Füßen und gab kleine, zufriedene Grunzlaute von sich. Es war kurz vor Mitternacht. Bis auf eine Gruppe von Amerikanern, die sich an einem Nebentisch lautstark unterhielt, waren sie die einzigen Gäste. Der Barkeeper gähnte. Auf Stanislaws Zeichen schlurfte er heran. »Wir schließen gleich«, verkündete er, ein triumphierender Unterton lag in seiner Stimme.
    »Da die Bar jetzt aber noch geöffnet ist, möchte ich Sie bitten, uns eine Flasche Ihres besten transsylvanischen Rotweins zu bringen, falls Ihnen das nicht zu viel Mühe bereitet«, erwiderte Stanislaw auf Rumänisch.
    Der Barkeeper starrte ihn an. »Ich sagte doch schon, dass wir gleich schließen.« Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte er Stanislaws gepflegte Erscheinung. »Wenn Sie unbedingt wollen, wird man Ihnen in der Hotelhalle noch etwas servieren«, setzte er halbherzig hinzu.
    »Wir möchten den Wein aber lieber in der Bar trinken, denn es gefällt uns hier viel besser. Das werden Sie doch sicher verstehen, oder?«
    Stanislaw sah den Mann jetzt unverwandt an, und Joanna wusste, was der Rumäne in den Augen seines Gegenübers erblickte: ein kleines tanzendes Licht, das an eine Flamme erinnerte und immer wieder die Farbe wechselte.
    »Selbstverständlich«, stammelte der Barkeeper, »ich bringe den Wein sofort.«
    Joanna hatte diese Szene stumm verfolgt. Als der Mann verschwunden war, fragte sie: »Was hast du gegen Tomas? Schließlich hast du selbst ihn mir als Führer durch Bukarest mitgegeben, schon vergessen?«
    »Ich habe gar nichts gegen ihn, das hast du falsch verstanden. Ich möchte nur nicht, dass …«
    »… dass ein junger Mann meines Alters mir näherkommt, als dir lieb ist, stimmt’s? Könnte es sein, dass du eifersüchtig bist, Stanislaw?«
    Er senkte den Kopf. »Ob das Eifersucht ist, weiß ich nicht, aber vielleicht hast du recht. Jetzt, wo ich dich gefunden habe, würde ich dich am liebsten mit niemandem teilen und dich ganz für mich allein haben. Sehr egoistisch von mir, oder?«
    Sie lächelte. »Ja, sehr egoistisch von dir.«
    Sie konnten ihre Unterhaltung nicht fortsetzen, denn der Barkeeper näherte sich mit einem Tablett. Er stellte zwei große, bauchige Gläser auf den Tisch und präsentierte den Wein. Stanislaw warf einen Blick aufs Etikett. »Ja, sehr gut, bitte öffnen Sie die Flasche.«
    »Mein Dienst ist jetzt zu Ende«, sagte der Mann, nachdem er einen Probeschluck eingeschenkt hatte, »aber wenn Sie wollen, halte ich mich zu Ihrer Verfügung.«
    Stanislaw verkostete den Wein und nickte. »Das wird nicht nötig sein. Bringen Sie mir die Rechnung.«
    Er bezahlte, legte ein großzügiges Trinkgeld dazu und sagte: »Danke. Und gute Nacht.«
    Kaum war der Barkeeper verschwunden, hob Stanislaw erneut sein Glas und schnupperte. »Joanna, das ist der Duft der Heimat!« Er zog eine kleine Glasflasche hervor, träufelte mit einer Pipette mehrere Tropfen einer rötlichen Flüssigkeit in sein Weinglas und schüttelte die Mischung ganz sanft.
    »Ist das eine neue Variante deiner ›Réserve du Patron‹?« So nannte Stanislaw die Mischung aus Karpatenwein und dem Stoff, ohne den er nicht leben konnte.
    Stanislaw wollte auf die Ironie in ihren Worten nicht eingehen, nicht in diesem Moment. »Nein, mein Kind, das ist
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher