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Hurra wir kapitulieren!

Hurra wir kapitulieren!

Titel: Hurra wir kapitulieren!
Autoren: Henryk M. Broder
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geredet werden »über das Verhältnis der Meinungsfreiheit zu der Verantwortung, die daraus erwächst«, denn: »Manche fühlen sich durch die Karikaturen stigmatisiert. Mich haben sie an die antijüdischen Zeichnungen in der Hitler-Zeit vor 1939 erinnert.«
    Kuhn, der als ein intelligenter Realo seiner Partei gilt, hat diesen unsäglichen Satz nie zurückgenommen oder wenigstens relativiert. Und die Grünen, die als Erste auf die Barrikaden der virtuellen Empörung steigen, wenn das Dritte Reich durch unangemessene Vergleiche »verharmlost« wird, haben ihn dafür nicht zur Rede gestellt. Wie denn auch, wenn die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, in die gleiche Kerbe schlug. Sie mahnte »Besonnenheit statt Kulturkampf« an und stellte fest: »Deeskalation fängt zu Hause an«. In diesem Zusammenhang kritisierte sie den so genannten »Muslimtest« in Baden-Württemberg: »Dieser Test bewirkt, dass Moslems sich stigmatisiert und unter Generalverdacht gestellt fühlen.« Noch ein Schoppen »Kiechlingsberger Teufelsberg« mehr und Claudia Roth hätte behauptet, die Demonstrationen in Jakarta, Damaskus und Teheran richteten sich nicht nur gegen die Karikaturen aus »Jyllands-Posten« sondern auch gegen den Muslimtest in Baden-Württemberg. Auch der junge CDU-Abgeordnete Eckart von Klaeden mahnte: »Wir dürfen keinen Beitrag zur Eskalation leisten.« Union und SPD erklärten separat aber unisono, man müsse »den Dialog mit dem Islam verstärken«, nachdem Demonstranten in Teheran Brandbomben auf die österreichische Vertretung geworfen und gerufen hatten: »Gott ist groß!« und: »Europa, Europa, Schande über dich!«
    Die »taz« widersprach der Auffassung, »dass in Europa absolute Meinungsfreiheit herrscht und jede Äußerung erlaubt ist«. Der Beweis kam etwas schmallippig daher: »Insbesondere die Leugnung des Holocaust ist in Europa weitgehend tabu, in Deutschland steht sie sogar unter Strafe. Vielen Muslimen ist da nur schwer vermittelbar, warum ihren Gefühlen nicht die gleiche Rücksicht entgegengebracht wird.« Vielen »taz«-Kommentatoren auch.
    So verschieden die Reaktionen im Detail auch ausfielen, allen gemeinsam war, dass sie dem Gefühl der Macht- und Hilflosigkeit entsprangen. Kritische Geister, die gestern noch mit Marx der Meinung waren, Religion sei Opium fürs Volk, fanden plötzlich, man müsse doch Rücksicht nehmen auf religiöse Empfindungen, vor allem, wenn sie von Gewaltakten begleitet werden. Entsprechend dem Marschbefehl von Günter Grass nach den Terrorangriffen vom n. September (»Der Westen muss sich endlich fragen, was er falsch gemacht hat«), war die westliche »Zivilgesellschaft« das Ziel der Appelle und nicht der Dschungel der Gefühle, aus dem die Gotteskrieger ihre Kraft schöpfen. Die Repräsentanten der Aufklärung reagierten wie Menschen, die von einem Hurrikan bedroht werden. Da sie gegen die Macht der Natur nichts ausrichten können, bunkern sie Vorräte, nageln Fenster und Türen zu und hoffen, dass der Sturm bald vorbei sein möge. Freilich: was bei einer Naturkatastrophe die einzig richtige Option ist, führt bei einer Auseinandersetzung mit Fundamentalisten nur dazu, dass diese immer entschlossener auftreten, weil sie auf keinen Widerstand treffen. Völlig zu Recht halten die islamischen Fundamentalisten den Westen für schwach, dekadent und nicht einmal bedingt abwehrbereit. Wer als Reaktion auf Geiselentführungen und Enthauptungen, auf Massaker an Andersgläubigen, auf Ausbrüche kollektiver Hysterie mit der Forderung nach einem »Dialog der Kulturen« reagiert, der hat es nicht besser verdient.
    Die »Deeskalation im eigenen Haus«, die Claudia Roth als Indikation gegen den Terror empfiehlt, ist längst in vollem Gang. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte in Frankfurt hat »zur Besonnenheit im Streit um die Mohammed-Karikaturen« aufgerufen. Jede Provokation müsse vermieden, auf weitere Abdrucke verzichtet werden. Denn es gehe um das Schicksal der Christen in islamischen Ländern. »Der Streit um die Meinungsfreiheit dürfe nicht auf dem Rücken derer ausgetragen werden, die als Unbeteiligte potenzielle Opfer radikaler Islamisten werden.«
    Auch hier wieder dieselbe Godzilla-Logik. Man sollte das Monster nicht reizen, seine allzeit ausbruchsbereite Aggressivität nicht auf eine Belastungsprobe stellen. Statt sich der bedrängten Christen in den islamischen Ländern anzunehmen und die Welt auf deren Leiden aufmerksam zu machen, hält es der
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