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Hurra wir kapitulieren!

Hurra wir kapitulieren!

Titel: Hurra wir kapitulieren!
Autoren: Henryk M. Broder
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distanziert. Nach einigen Wochen ebben die Proteste ab. Nur für die zwölf Zeichner der Karikaturen gibt es kein Zurück zum normalen Leben. Über 150 Todesdrohungen können nicht einfach ignoriert werden. Ende April verlangt Osama Bin Laden die Auslieferung der Zeichner, die er vor ein islamisches Gericht stellen möchte. Dass sie ihm nicht trauen und das Angebot nicht annehmen, beweist wieder einmal, wie wenig Respekt die Vertreter des dekadenten Westens für die berechtigten Anliegen der gekränkten Moslems empfinden.
    Der Karikaturenstreit, schreiben Hansen und Hunde-vadt, »hat vorerst mit einer Dreiviertelniederlage der Islamisten geendet«. Ihre Forderung nach einer vorbehaltlosen Entschuldigung und neuen Regeln im Umgang mit islamischen Symbolen wurde nicht erfüllt. »Aber sie haben zugleich einen Viertelsieg errungen: Alle, die nicht zum Selbstmord neigen, werden in Zukunft extravorsichtig auftreten, wenn sie sich dem Thema Islam nähern.«
    Und sie resümieren: »Der Karikaturenstreit war allerdings nur die erste Runde. In den nächsten Jahren wird es mehrere ähnliche Kämpfe über Werte geben. Sie müssen sich nicht genauso gewaltig abspielen. Aber sie haben das Potenzial, sich noch explosiver zu entwickeln.«
    Der Karikaturenstreit war objektiv ein Sturm im Wasserglas, subjektiv eine Machtdemonstration und im Kontext des »Kampfes der Kulturen« eine Probe für den Ernstfall. Die Moslems haben bewiesen, wie schnell und effektiv sie Massen mobilisieren können, und der freie Westen, der sonst bei jedem Hakenkreuz auf einer Hauswand »Wehret den Anfängen!« ruft, hat gezeigt, dass er der islamischen Offensive nichts entgegenzusetzen hat - außer Angst, Feigheit und der Sorge um seine Handelsbilanz. Nun wissen die Islamisten, dass sie es mit einem Papiertiger zu tun haben, dessen Gebrüll nur vom Band kommt.
    Auf einer Islamisten-Demo in London wurden Plakate getragen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. »Kill those who insult Islam!«, »Europe you will pay - 9 / 11 is on its way«, »To hell with freedom!«. Dabei hatte nicht eine englische Zeitung es gewagt, eine der Karikaturen nachzudrucken. Die Demonstranten empörten sich vom Hörensagen, wie Taube über ruhestörenden Lärm. Der britische Außenminister Jack Straw nannte die Veröffentlichung der Karikaturen »unnötig, unsensibel, respektlos und falsch«; der »Observer« versprach: »Erhöhte islamische Sensibilität ist etwas, dem wir in Zukunft werden Rechnung tragen müssen«, der »Daily Telegraph« äußerte angesichts der Krawalle vor seiner Haustür »Respekt vor dem Islam, dieser reinsten und abstraktesten aller monotheistischen Religionen«, und auch die »Times« schrieb sich ihre Zurückhaltung schön: »Dies ist kein Appeasement sondern verantwortlicher Umgang mit dem Recht auf freie Rede.«
    Auch die Reaktionen in Deutschland zeigten, wie dünn das Eis ist, auf dem die Trommler und Fahnenschwenker der viel gerühmten »Zivilgesellschaft« ihre Runden drehen. Günter Grass sprach von einer »bewussten und geplanten Provokation eines konservativen dänischen Blattes« und nannte die gewalttätigen Ausschreitungen der Moslems eine »fundamentalistische Antwort auf eine fundamentalistische Tat«.
    Grass gab sich nicht damit zufrieden, eine Äquidistanz zwischen den dänischen Karikaturisten und dem rasenden Mob herzustellen - wobei der Mob insofern in einer moralisch überlegenen Position war, weil er nur reagierte -, er fällte gleich ein Grundsatzurteil: »Wir haben das Recht verloren, unter dem Recht auf freie Meinungsäußerung Schutz zu suchen. So lang sind die Zeiten der Majestätsbeleidigung nicht vorbei, und wir sollten nicht vergessen, dass es Orte gibt, die keine Trennung von Staat und Kirche kennen.«
    Grass, dessen Auftreten der beste Beweis dafür ist, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung jeden Unsinn abdeckt, empfahl außerdem, »sich die Karikaturen einmal näher anzuschauen: Sie erinnern einen an die berühmte Zeitung der Nazi-Zeit, den Stürmer. Dort wurden antisemitische Karikaturen desselben Stils veröffentlicht...«
    Man könnte eine solche Feststellung mit der Seh- und Erinnerungsschwäche eines in die Jahre gekommenen Herren erklären, der alles, was in der Welt passiert, als Aufforderung begreift, seine ungetrübte Urteilskraft zu beweisen, wenn nicht auch Jüngere ähnlich geredet hätten. Fritz Kuhn, Fraktionschef der Grünen, sagte in einem Gespräch mit der »Welt«, es müsse nun
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