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Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Titel: Hunkelers zweiter Fall - Flattermann
Autoren: Hansjörg Schneider
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Schritt zurück, denn Werner war aufgetaucht, ein pensionierter Tramführer, der die Gewohnheit hatte, auf Handbreite an seine Gesprächspartner heranzukommen.
    »Was ist eigentlich passiert?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Hunkeler, unfreundlich, schroff. Er wollte jetzt allein sein.
    Drüben bei den Bänken setzte er sich, Tasse auf dem Tisch, Beine auf der Bank, Rücken am Holz, und schaute hinaus. Dieses Bild, dachte er, wunderbar. Der grüne Fluss, die Enten unten in der leichten Strömung, die Linden gegenüber, sattgrün, die Brücke rechts oben mit den Autos in beiden Richtungen. Dahinter das Münster über dem Rheinbogen, darüber die Hügel des Juras, dunkel bewaldet, und über allem der blaue Himmel. Was für ein liebes Leben! Aber was wollte der Tod mittendrin?
    André kam heran, stellte sich vor ihm auf, ein Flackern in den Augen. »Hast du gesehen? Die sind erst nach einer halben Stunde gekommen.«
    »Wer?«
    »Die Rheinpolizei.« Er zeigte flussabwärts zum Polizeischiff, das unter der Dreirosenbrücke eine Kurve fuhr. »Das sind die größten Schlawiner. Erst mussten sie ums Verrecken ein größeres Boot kaufen, niemand weiß, warum. Und dann merken sie, dass das alte Bootshaus zu klein ist und ein größeres her muss. Und wer bezahlt das alles? Wir, die Steuerzahler.«
    Er setzte sich, er musste sich etwas von der Seele reden.
    »Und wenn man sie braucht, hocken diese Kummerbuben in irgendeiner Beiz und trinken Kaffee. Das geht doch nicht, dass die eine halbe Stunde brauchen, wenn jemand ertrinkt.«
    Hunkeler schaute in die Sonne: ein rotes, grelles Flimmern. »Wir haben ihn ja auch nicht herausgeholt.«
    »Was ist los mit dir?« André wurde plötzlich wütend. »Er war zu weit draußen, das weißt du genau.«
    »Mir ist heiß«, sagte Hunkeler, »ich gehe in den Bach.«
    Er erhob sich, spuckte hinunter aufs Wasser, wo die Enten paddelten, und trat auf die Fahrstraße hinaus. Es war ein normaler Junimorgen. Heiß, aber noch nicht unangenehm. Hier unten am Fluss fuhren nur wenige Autos. Eine alte Frau kam ihm entgegen, einen dicken Dackel an der Leine führend. Eine Mutter schob einen Kinderwagen. Der Maler in der Werkstatt neben der Trattoria Donati hatte Tür und Fenster aufgesperrt, ein italienischer Schlager war zu hören. Das Rheinbord war voller Blumen, die aus den Fugen zwischen den Kalkbrocken herauswuchsen. Ein paar Schmetterlinge flatterten, Spatzen hüpften herum. Bei der Anlegestelle der Fähre warteten Kinder, die auf einer Schulreise waren. Sie schauten neugierig, fast bewundernd dem älteren Mann zu, der mitten in der Stadt Basel in Badehosen an ihnen vorbeiging, sich weiter oben bis zu den Knien in den Fluss stellte und hineinsprang.
    Gegen Abend des gleichen Tages fuhr Hunkeler mit seiner Freundin Hedwig ins Elsass. Die Hitze hatte von der Stadt Besitz ergriffen, von der Luft, von den Mauern, vom Asphalt, ein brennendes Tuch, das die Menschen unentrinnbar umhüllte. Er hatte ihr zu entkommen versucht, indem er sich in seiner Altwohnung bei geschlossenen Fenstern aufs Bett gelegt hatte, reglos abwartend, bis der Schlaf ihn aufnahm. Das war auch geschehen, für eine halbe Stunde war er eingenickt. Dann aber war er erwacht, jäh wie aus einem Angsttraum, obschon er sich an nichts dergleichen erinnern konnte. Er war schweißnass, wie gelähmt an Gliedern und Geist. Er blieb noch eine Weile liegen, starr wie eine Leiche im Sarg. Dann fiel ihm der alte Mann ein, der Flattermann zwischen Brücke und Wasser.
    Er hatte in die Badewanne kaltes Wasser laufen lassen und hatte sich hineingelegt, bis er abgekühlt war. Er hatte im Tonkrug Schwarztee aufgegossen und drei Tassen getrunken. Und er hatte nachgedacht.
    Jetzt saß er im Stau vor dem Grenzübergang Bachgraben. Die Kolonne rollte im Schritttempo, Autos von Grenzgängern mit den schwarzen Elsässer Nummern. Niemand hupte, niemand fluchte oder verwarf die Hände. Die Fahrer waren den Stau gewohnt, und offenbar freuten sie sich, in ihre Dörfer zurückfahren zu können.
    »Heute«, sagte Hedwig, »heute habe ich wieder einmal meinen Beruf verflucht. Kindergärtnerin! Das tönt nach Karotten und Bohnen im kühlen Garten. Und dabei hocke ich mitten in der Hexenküche. Albanische Kinder und türkische Kinder und portugiesische Kinder. Keines kann Deutsch. Aber alle drehen durch bei dieser Hitze und bekriegen sich wie im richtigen Leben. Und ich mittendrin, tropfnass und mit Blei in den Gliedern. Oberrheinische Tiefebene, ha!« Sie verwarf die
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