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Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Titel: Hunkelers zweiter Fall - Flattermann
Autoren: Hansjörg Schneider
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die rechte Schulter gelegt. So stießen sie den Mann die Böschung hinauf, keuchend und nach Halt suchend im Wasser, das hier nur langsam floss. Der Körper war unglaublich schwer. Jetzt lag er da, seltsam verrenkt im Sonntagsanzug, ein Wassertier, das nicht recht aus dem Wasser wollte und auch nicht an Land.
    Der ältere Sanitäter beugte sich nieder, legte eine Hand auf den nassen Rücken. »Der lebt ja noch«, sagte er, plötzlich erschrocken. »Los jetzt, komm.«
    Gemeinsam mit dem Kollegen packte er den Mann. Sie hoben ihn hoch – wie ein Stück Wäsche, dachte Hunkeler –, sie drückten ihm die flachen Hände auf den Rücken, pressten aus Leibeskräften, bis Wasser aus dem Mund floss, schubweise. Dann versiegte es. »Vielleicht hat er künstliche Zähne«, sagte der Holländer, »und er erstickt.«
    »Blödsinn«, sagte der Sanitäter, »der erstickt nicht. Das Wasser muss ausfließen können. Das ist das Wichtigste, verstehen Sie?«
    Sie legten ihn auf die Bahre, Bauch nach unten.
    »Da oben haben wir Sauerstoff.« Der Sanitäter zeigte auf den wartenden Notfallwagen, dessen Blaulicht immer noch drehte. »Der bringt ihn ins Leben zurück. Was meinen Sie, was wir schon alles zurückgeholt haben aus dem Reich des Todes!« Er lächelte kurz, fast schmierig. »Herzbaracken schwersten Kalibers, Unfallopfer, die schon fast alles Blut verloren hatten, Selbstmörder mit zertrümmertem Skelett. Wir sind die Schutzengel.« Jetzt grinste er richtig. »Wir bringen die Sterbenden ins Leben zurück.«
    »Moment«, sagte Hunkeler und kniete sich nieder.
    »Halt«, sagte der Sanitäter, »stopp! Rühren Sie diesen Mann nicht an.«
    Hunkeler schaute schräg nach oben. Er blinzelte, die Sonne blendete ihn. »Sie tun Ihre Pflicht«, sagte er, »und ich tue meine. Einverstanden? Ich bin Polizist.«
    Der Sanitäter zögerte. Dann: »Kann ich bitte Ihren Ausweis sehen?«
    Hunkeler zeigte auf seine Badehose. »Wo soll ich ihn haben? Vielleicht hier drin? Ich heiße Hunkeler. Das hier ist übrigens seine Brille.«
    Der Sanitäter nahm sie, klappte sie zusammen und steckte sie ein. Unschlüssig schaute er zu, wie Hunkeler dem Mann in die innere Rocktasche griff und eine Brieftasche herausholte. Dann hoben die beiden Sanitäter die Bahre an, trugen sie auf die Fahrstraße hinauf und schoben sie in den Sanitätswagen. Die Tür schloss sich, das Auto fuhr weg.
    Hunkeler schaute ins Wasser. Im Sand war deutlich seine Spur zu sehen, hingezeichnet auf den gewellten Boden, die Zehen, die Fußballen, die Fersen. Er drehte den Kopf zum Badehaus hinüber. Dort stand André, reglos, ein kräftiger, braungebrannter Mann in Leopardenhose.
    »Sie sind nass geworden«, sagte er zum Holländer, der versuchte, eine Zigarette aus der Schachtel zu klopfen. »Das tut mir leid.«
    »Warum? Das soll Ihnen nicht leidtun.« Er warf die Zigaretten ins Wasser. »Die sind kaputt.«
    »Ich habe meine drüben in der Garderobe. Wenn Sie wollen, hole ich sie.«
    »Nicht der Rede wert, danke.«
    Gemeinsam schauten sie über das Wasser, auf die dunkelgrünen Linden gegenüber, die Giebel, die Häuser dahinter.
    »Ein schöner Fluss hier oben«, sagte der Holländer. »So müsste er sein bis unten, wo er ins Meer fließt.«
    »Er tut mir sehr leid. Ich meine den alten Mann. Ich frage mich, warum ich nicht sogleich hinausgeschwommen bin, um ihn zu holen.«
    »Bitte keine Eigenbeschuldigung. So sagt man doch, oder?«
    »Sie meinen Selbstvorwürfe«, meinte Hunkeler.
    »Das ist immer so, dass man sich Selbstvorwürfe macht«, sagte der Holländer, »wenn sich jemand umbringt. Aber es ist sinnlos. Selbstmord ist ein Menschenrecht. Oder meinen Sie nicht? Allerdings, zuschauen kann man auch nicht, wie jemand ertrinkt.«
    »Ich habe zugeschaut«, sagte Hunkeler, »und jetzt fühle ich mich mies.«
    Er öffnete die Brieftasche. Sie war aus feinem, schwarzem Leder. Ziegenleder, dachte er, wie das früher Brauch war, geschenkt zu Weihnachten, eingepackt in rotes Seidenpapier mit grünen Tannenzweigen und Kerzen drauf, verschnürt mit gelber Papierschnur.
    Sein Blick fiel auf das Foto eines jungen Mannes. Breite Schultern, kräftiger Hals, das Gesicht einigermaßen grob, die Augen hell. Beidseits der Nase waren knapp einige Leberflecken zu sehen. Das Haar gekraust, ziemlich kurz, im linken Ohr ein kleiner Ring.
    Er schob das feuchte Foto zur Seite, suchte und fand einen Ausweis. Er zeigte das Gesicht des Mannes, der soeben fortgefahren worden war. Weißes Hemd mit Krawatte,
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