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Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Titel: Hunkelers zweiter Fall - Flattermann
Autoren: Hansjörg Schneider
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der Hals auffallend dürr, das Gesicht kräftig und trotz des hohen Alters lebendig und frisch, die Augen hinter der Hornbrille schienen zu lachen. Glatze, die Haare seitlich lang und strähnig. Schwache Leberflecken auf der Stirn.
    Der Mann hieß Freddy Lerch, gebürtig aus Barzwil im Kanton Solothurn, Augen und Haare braun, Größe 1,82, geboren am 1. Februar 1916.
    Oben auf der Fahrstraße hielt das Polizeiauto an. Der Fahrer – es war Korporal Lüdi – schaltete das Horn aus, das Blaulicht ließ er weiterdrehen. Es stiegen aus Haller mit der geschwungenen Luzerner Pfeife und Detektiv-Wachtmeister Michael Madörin. Sie schauten flussabwärts, wo die weißen Hotelschiffe lagen. Dann kamen sie herunter auf den Treidelweg.
    »Was machst denn du hier?«, fragte Madörin.
    »Urlaub«, sagte Hunkeler und versuchte zu lachen, obschon es ihm überhaupt nicht zum Spaßen war. Aber so war das eben bei der Polizei: nur keine Menschlichkeit vortäuschen!
    »Es ist zum Kotzen«, sagte Madörin, »wo man hinkommt, hockt schon der Hunkeler und räumt auf.« Er kratzte sich am Hals, lockerte den Kragen. »Die einen schuften sich bei der größten Hitze kaputt, die andern genießen das Strandleben. Was hast du da in der Hand?«
    »Diese Brieftasche«, sagte Hunkeler, »habe ich aus der Rocktasche des Mannes genommen, den sie soeben weggefahren haben. Zuhanden des Piketts, wie es sich gehört.«
    Madörins Blick wurde giftig. »Hast du hineingeschaut?«
    »Flüchtig. Ein flüchtiger Blick.«
    »Das gehört in meine Kompetenz«, sagte Madörin und steckte die Brieftasche ein. »Von mir aus kannst du dich krebsrot braten lassen und Abend für Abend unter kühlen Laubbäumen literweise Bier in dich hineinschütten. Aber lass die Hände weg von diesem Fall.«
    Hunkeler schaute flussabwärts, wo das Basler Dybli – ein grün bemaltes nostalgisches Ausflugsschiff – unter der Dreirosenbrücke auftauchte. »Ihr habt euch ja ziemlich Zeit gelassen.«
    »Hör auf, ja?« Das kam jetzt richtig böse. »Wir fahren von Notfall zu Notfall, weil bei dieser Hitze die Leute durchdrehen. Und am Nachmittag soll es noch heißer werden. Du weißt, was das bedeutet. Also sei bitte ein bisschen kollegial.«
    »Es tut mir leid«, sagte Hunkeler. »Was ich gesehen habe, hat mich ziemlich geschafft.«
    »Du und geschafft«, sagte Haller, »was ist denn passiert?«
    »Der Mann ist hinuntergesprungen, dort oben von der Brücke. Mit einem Schrei. Dann ist er beinahe ertrunken.« Er zeigte auf den Holländer, der freundlich lächelte. »Er hat ihn herausgefischt. Dann hat ihn die Sanität geholt.«
    Haller nahm die Pfeife aus dem Mund, betrachtete nachdenklich den erloschenen Tabak darin, presste sanft den Daumen darauf. »Und warum hast nicht du ihn herausgefischt?«
    Hunkeler schwieg.
    »Nimm’s nicht zu schwer«, sagte Madörin und hielt ihm seine Zigaretten hin. »Da, rauch eine.«
    Hunkeler nahm sich eine, ließ sich Feuer geben, zog tief den Rauch hinunter. Von was hätte er reden sollen? Vom freien Willen? Von der Sehnsucht zu sterben?
    Madörin wandte sich zum Holländer. »Wie heißen Sie?«
    »Veit Flammers. Aus Leiden. Ich arbeite auf dem Schiff dort unten.«
    »Er ist übrigens freiwillig gesprungen«, sagte Hunkeler. »Er hat mitten im Sprung geschrien. Aus Angst.«
    »Gopferdammich«, sagte Haller. »An einem so schönen Sommermorgen.«
    Die Big-Ben-Uhr schlug zehn, als Hunkeler ins Badehaus zurückkam. Üble, widerliche Schläge, wie er fand, die Heimeligkeit, betuliche Wohlhabenheit vorspiegelten.
    Frau Lang hatte das Schiebefenster des Kiosks hochgezogen. Nussgipfel lagen da, Mohnbrötchen mit Wurstscheiben dazwischen. Es duftete nach frischem Kaffee. Er nahm eine Tasse, stellte sie unter den Hahn der Thermosflasche, drückte auf den Deckel. Er machte das wie jeden Morgen, und wie jeden Morgen rann der Kaffee heraus.
    »Was war das für ein Mann?«, fragte Frau Lang.
    »Ein gewöhnlicher alter Mann.«
    »Haben Sie ihn springen sehen?«
    »Ja.« Er goss Milch in die Tasse, fingerhoch.
    »Wo ist er jetzt?«
    »Er liegt im Spital.«
    »Und? Ist er tot?«
    »Ich glaube nicht.«
    Er nahm einen Schluck. Das tat ihm gut, wie jeden Morgen. »Das ist eine Geschichte«, sagte sie. »Warum springt ein alter Mann von der Brücke? Wenn ihm die AHV nicht gereicht hat, so hätte er doch Ergänzungsleistungen beantragen können. Die bekommt heute jeder, der sie nötig hat. Basel ist doch eine soziale Stadt, oder nicht?«
    Hunkeler nickte und trat einen
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