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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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Erde.
    Gaston war nach Brüssel zurückgekehrt. Vom Warten auf seinen Aeroplan müde, hatte er eines Tages die unentbehrlichsten Gegenstände und seinen Briefordner in ein Handköfferchen gepackt und war abgereist in der Absicht, auf dem Luftwege zurückzukehren, bevor seine Vorrechte einer Gruppe von deutschen Fliegern überlassen wurden, die den Provinzbehörden ein ehrgeizigeres Projekt als das seine vorgelegt hatten. Seit dem Nachmittag ihrer ersten Liebe hatten Aureliano und Amaranta Ursula die seltenen zerstreuten Momente des Gatten genutzt und sich bei gefahrvollen und fast immer durch eine unvorhergesehene Rückkehr unterbrochenen Treffen mit geknebelter Glut geliebt. Als sie sich jedoch allein im Haus sahen, stürzten sie sich in den Taumel einer Liebe, die vieles nachzuholen hatte. Es war eine unsinnige, hemmungslose Leidenschaft, die Fernandas Gebeine in ihrem Grab entsetzt erschauern ließ und die beiden in unaufhörlichem Reizzustand hielt. Amaranta Ursulas Katzengejaule, ihr Todesrauschgesang hallten ebenso um zwei Uhr nachmittags auf dem Eßzimmertisch wider als um zwei Uhr morgens in der Speicherkammer.
    »Was mir am meisten weh tut«, lachte sie, »ist die viele verlorene Zeit.« In der Betäubung ihrer Leidenschaft sah sie, wie die Ameisen den Garten verwüsteten und ihren prähistorischen Hunger am Holzwerk des Hauses stillten, sie sah den Gießbach der lebenden Lava von neuem die Veranda begraben, doch sie bekämpfte ihn nur, wenn er in ihr Schlafzimmer einbrach. Aureliano ließ seine Pergamente im Stich, ging auch nicht wieder aus und beantwortete die Briefe des katalanischen Weisen nur nebenbei. Sie verloren jeglichen Sinn für die Wirklichkeit, den Zeitbegriff, den Rhythmus täglicher Gewohnheiten. Sie schlossen wieder Türen und Fenster, um keine Zeit mit An- und Ausziehen zu verlieren, und bewegten sich durchs Haus, wie Remedios die Schöne es immer gewünscht hatte: Sie wälzten sich splitternackt auf dem Lehmboden des Innenhofs, und eines Nachmittags wären sie fast ertrunken, als sie sich in der Brunnenzisterne liebten. In kurzer Zeit richteten sie mehr Schaden an als die bunten Ameisen: Sie zerschlugen die Wohnzimmerrnöbel, zerrissen in ihrem Wahn die Hängematte, die Oberst Aureliano Buendías trostlosen Liebschaften widerstanden hatte, sie weideten die Matratzen aus und leerten ihren Inhalt auf die Fußböden, um sich in Sturmgewittern aus Baumwolle zu ersticken. Wenngleich Aureliano sich als ein ebenso wütender Liebhaber erwies wie sein Nebenbuhler, war Amaranta Ursula die, welche jenes Paradies der Verhängnisse mit ihrer launenhaften Findigkeit und lyrischen Gier beherrschte, so, als konzentriere sie all ihre unbezähmbare Energie, die ihre Ururgroßmutter auf die Herstellung von Karameltierchen verwandt hatte, auf die Liebe. Andrerseits, während sie vergnüglich trällerte und sich über ihre eigenen Erfindungen fast totlachen wollte, wurde Aureliano immer verschlossener und einsilbiger, weil seine Leidenschaft ihn stumm machte und ausdörrte. Im übrigen erklommen die beiden derartige Gipfel des Virtuosentums, daß sie sich nur zu erschöpfen brauchten, um ihrer Ermüdung die verstiegensten Lustgefühle abzuringen. Sobald sie entdeckten, daß die Langeweile der Liebe unerforschte Möglichkeiten barg, die reicher waren als die des Begehrens, ergaben sie sich der Vergötterung ihrer Körper. Während er Amaranta Ursulas reckbare Brüste mit Eiweiß massierte oder ihre geschmeidigen Schenkel und ihren Pfirsichleib mit Kokosbutter einrieb, spielte sie mit Aurelianos fabelhaftem Geschöpf Puppen, malte ihm mit Lippenrot Clownsaugen und mit Wimperntusche einen Türkenbart an, band ihm eine Organzakrawatte um und setzte ihm ein Hütchen aus Silberpapier auf. Eines Nachts beschmierten sie sich mit Aprikosenkompott, leckten sich wie Hunde und liebten sich wie die Wahnsinnigen auf dem Boden der Veranda, wo sie von einem Strom von fleischfressenden Ameisen geweckt wurden, die sich anschickten, sie lebendig zu verschlingen.
    In den Pausen des Taumels beantwortete Amaranta Ursula Gastons Briefe. Sie empfand ihn als so fern und beschäftigt, daß seine Rückkehr ihr ein Ding der Unmöglichkeit schien. In einem der ersten Briefe erzählte er, seine Teilhaber hätten den Aeroplan wirklich abgeschickt, doch die Schiffahrtsagentur von Brüssel habe ihn versehentlich nach Tanganjika verladen, wo er an die weithin verstreute Gemeinde der Makondos ausgeliefert worden sei. Diese Verwechslung
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