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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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Tiefe eines durchscheinenden Wasserbeckens zu versöhnen trachtete. In der Hitze des erbitterten zeremoniellen Nahkampfs begriff Amaranta Ursula, daß ihr besorgtes Stillschweigen widersinnig war und den Verdacht ihres nahen Ehemanns weit eher wecken konnte als der von ihnen behutsam vermiedene Kriegslärm. Nun begann sie mit zusammengebissenen Zähnen zu lachen, wobei sie zwar nicht den Kampf aufgab, sich jedoch mit vorgetäuschten Bissen verteidigte und ihren Wieselleib allmählich entwieselte, bis beide gleichzeitig merkten, daß sie Gegner und zugleich Komplicen waren, und jetzt entartete das Gefecht zu einem konventionellen Gebalge, und die Angriffe wurden Liebkosungen. Plötzlich, fast spielerisch, wie eine neue Finte, ließ Ursula in ihrer Verteidigung nach, und als sie erschrocken darüber, was sie selbst ermöglicht hatte, sich wehren wollte, war es schon zu spät. Ungewöhnliche Erregung lähmte sie in ihrem Schwerpunkt, nagelte sie fest, und ihr Verteidigungswille wurde von dem unwiderstehlichen Drang vernichtet, zu ergründen, was es mit den orangefarbenen Pfiffen und unsichtbaren Kreisen auf sich habe, die sie am anderen Ende des Todes erwarteten. Sie hatte nur noch Zeit, die Hand auszustrecken, nach dem Handtuch zu tasten und sich einen Knebel in den Mund zu schieben, um nicht das Katzengejaule auszustoßen, das ihr bereits die Eingeweide zerriß.
     

 
     
     
     
     
     
    Pilar Ternera starb in ihrem Rohrschaukelstuhl an einem Festabend, als sie den Eingang zu ihrem Paradies bewachte. Ihrem letzten Willen gemäß wurde sie ohne Sarg beerdigt, im Schaukelstuhl sitzend, den acht Männer an Stricken in ein riesiges, mitten in der Tanzfläche ausgeschachtetes Loch hinabließen. Die schwarzgekleideten Mulatinnen veranstalteten tränenbleich eine Totenmesse, während sie ihre Ohrringe, ihre Broschen und ihre Ringe ablegten und in die Grube warfen; dann versiegelten sie diese mit einem Stein ohne Namen und Jahrestag und häuften darauf einen Berg amazonischer Kamelien. Nachdem sie alle Tiere vergiftet hatten, verschlossen sie ihre Holztruhen, innen ausgeklebt mit Heiligenbildchen, Zeitschriftendrucken und Porträts von fernen, phantastischen Eintagsverlobten, die Diamanten schissen oder Kannibalen fraßen oder auf hoher See gekrönte Kartenkönige waren.
    Das war das Ende. In Pilar Terneras Grab, zwischen Hurenflitterkram und Psalmen, vermoderten die Ruinen der Vergangenheit, die wenigen übriggebliebenen, nachdem der katalanische Weise seine Buchhandlung versteigert hatte und, bezwungen von der Sehnsucht nach einem beharrlichen Frühling, in sein Mittelmeergeburtsdorf zurückgekehrt war. Auf der Flucht vor einem der zahllosen Kriege war er in der Glanzzeit der Bananengesellschaft nach Macondo gekommen, wo ihm nichts Besseres einfiel, als dieses Antiquariat aufzumachen mit Inkunabeln und Originaleditionen in verschiedenen Sprachen, in denen die Gelegenheitskunden argwöhnisch blätterten, als seien es anrüchige Bücher, während sie warteten, bis ihre Träume in dem gegenüberliegenden Haus gedeutet waren. Er verbrachte sein halbes Leben in der heißen Hinterstube dabei, mit seiner gekünstelten Handschrift in violetter Tinte Schulheftblätter vollzukritzeln, ohne daß jemand genau wußte, was er eigentlich schrieb. Als Aureliano ihn kennenlernte, besaß er bereits zwei mit diesen beschmierten Bogen gefüllte Kisten, die keineswegs an Melchíades' Pergamente erinnerten, und zwischen jenem Zeitpunkt und seiner Abreise hatte er eine weitere gefüllt, so daß er während seines Aufenthalts in Macondo vermutlich nichts anderes getan hatte. Die einzigen Personen, mit denen er in Verbindung gestanden hatte, waren die vier Freunde gewesen, deren Kreisel und Drachen er ihnen gegen Bücher umtauschte und denen er schon als Volksschülern Seneca und Ovid zu lesen gab. Über die Klassiker sprach er mit häuslicher Vertrautheit, als seien diese einmal alle seine Zimmergenossen gewesen, und er wußte viele Dinge, die man eigentlich nicht wissen durfte, wie etwa, daß der heilige Augustin unter seinem Habit ein wollenes Wams getragen, das er vierzehn Jahre lang nicht ausgezogen hatte, und daß Arnaldo de Vilanova, der Schwarzkünstler, infolge eines Skorpionbisses schon als Kind impotent gewesen war. In seinem Feuereifer für das geschriebene Wort paarte sich feierliche Ehrfurcht mit respektloser Klatschsucht. Auch seine eigenen Manuskripte waren nicht frei von dieser Verbindung. Da er das Katalanische zum Zweck des
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