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Hund aufs Herz

Hund aufs Herz

Titel: Hund aufs Herz
Autoren: Gert Haucke
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Artgenossen.
    Ein Verrat, für den sie in den nachfolgenden Jahrtausenden bitter bezahlen mußten.
    Genausowenig, wie wir die unerschütterliche Affinität des Delphins zum Menschen, seinem größten Feind, erklären können, ebensowenig ist erklärbar, warum die Nachkömmlinge der ersten befriedeten Wölfe die Menschen nicht einfach wieder verließen, bevor sie vom Partner des Menschen zu seinem Sklaven verkommen waren.
    Irgendwann war offensichtlich der Zeitpunkt für immer verpaßt, mit erhobener Rute in den damals noch unergründlichen Wäldern wieder zu verschwinden.
    Der Rudelgenosse war zum paralysierten Abhängigen geworden, dem immer noch wachsenden Großhirn zauberisch erlegen.
    Jetzt begann die Selektion.
    Hunde können sich zweimal im Jahr vermehren, die Tragzeit beträgt nur 62 Tage. In weniger als einem Jahr sind sie geschlechtsreif: ideale Voraussetzungen für die Menschen, den inzwischen von ihnen institutionalisierten Göttern ins Handwerk zu pfuschen.
    Besonders kleine, besonders große, besonders starke, besonders intelligente, besonders langhaarige, besonders kurzhaarige, besonders sanfte und besonders aggressive Hunde: damit begannen die willkürlichen Eingriffe in das genetische Potential der Wolfsabkömmlinge und dauern an bis zum heutigen Tag.
    Der Hund war nicht nur ein für allemal seiner Freiheit beraubt, er hatte nun auch so auszusehen, wie man ihn an den verschiedenen Arbeitsplätzen gebrauchen konnte. Und man scheute sich nicht, Körperformen herauszuzüchten, die auf freier Wildbahn nicht lebensfähig gewesen wären: Zwerge und Riesen, die dem Menschen nicht nur ergeben waren, sondern ohne seine Hilfe hätten verhungern müssen: zu langsam, zu leicht, zu schwer, zu kurzbeinig, zu groß, zu klein.
    Diese neuen Formen hielten sich bis zum Beginn unseres Jahrhunderts noch in vertretbaren Grenzen.
    Man erzeugte Vielfältigkeit durch das gezielte Vermehren mit mutierenden Welpen, oft mit Krüppeln, die jede Wolfsmutter vorzeiten sofort totgebissen hätte, weil sie in der Form einfach nicht überlebensfähig gewesen wären.
    Der Mensch aber konnte sie in höchst unterschiedlichen Formen gebrauchen. Und also sorgte er dafür, daß diese Form sich selbst erhielt, indem er «willkürliches» Vermehren soweit wie möglich verhinderte.
    Interessant wäre es, festzustellen, wie lange es dauern würde, bis aus dieser inzwischen höchst fragwürdigen Vielfalt unserer heutigen «Rassehunde» wieder ein unauffälliger, stockhaariger, mittelgroßer Wildhund geworden wäre, wenn man urplötzlich mit der ganzen Züchterei aufhören würde und den Resten der Natur in unseren Hunden freien Lauf ließe. Ein utopischer, nichtsdestoweniger reizvoller Gedanke.
    Aber gehen wir noch mal ein Stück – ein vergleichsweise kleines Stück – zurück: wenige Jahrhunderte nur.
    Der Wolfsabkömmling Hund war zum Gebrauchsgegenstand entartet, «Gebrauchshunde» werden heute noch gezüchtet, ihre Existenz wird hoch gelobt.
    Gebrauchshunde heißen so, weil man sie zu allem möglichen, für den Menschen Nützlichen  « brauchen» kann.
    Nicht aber, weil man, wie bei gebrauchter Wäsche, einen etwas angeschmuddelten Verschleiß bezeichnen will.
    Der entsteht aber – und hier werden die Bilder wieder deckungsgleich –, wenn man «Gebrauchshunde» eine Weile gebraucht hat.
    Sie werden dann bis zum heutigen Tag logischerweise häufig weggeschmissen. Weil sie dem «Hundesportler»– auch eine völlig widersinnige Bezeichnung –«nichts mehr bringen», weil sie alt, lästig, überflüssig, kostenträchtig geworden sind.
    Denn seit sich zum Kampfsklaven, Hauswächter, Zugtier und Herdenwärter der Hund als Prestigeobjekt gesellt hat, seitdem kostet er, läßt sich erstmals seine totale Abhängigkeit in klingender Münze bezahlen.
    Eine ohnmächtige Rache, entsetzlich teuer mit dem Verlust an Gesundheit, an Lebenskraft bezahlt.
    Denn die eigentliche Katastrophe in der Geschichte der Hunde begann mit ihrer Denaturierung zum Luxuswesen.
    Solange der Mensch ihn benutzt hatte, war wenigstens eines sichergestellt: seine körperliche Intaktheit.
    Ein Hund, der nicht gesund war in dem Sinne, daß er über seinen Körper verfügen konnte, war eben nicht zu «gebrauchen».
    Also hütete man sich, Hunde hervorzubringen, deren Körperformen allzu extrem und damit uneffektiv waren.
    Und damit ist es an der Zeit, den letzten Sprung zu machen, den in unsere hochzivilisierte, gleichwohl völlig heruntergekommene Welt, eine Welt, in der
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