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Hund aufs Herz

Hund aufs Herz

Titel: Hund aufs Herz
Autoren: Gert Haucke
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nächsten Augenblick fliegt er zwei Meter durch die Luft, landet verdutzt auf dem Po und denkt nach. Er hat zum richtigen Zeitpunkt das Richtige gelernt: Die Zeit der absoluten Handlungsfreiheit ist vorbei. Von nun an müssen gewisse Regeln beachtet werden. Regel Nr. 1: Störe niemals ein erwachsenes Rudelmitglied im Schlaf!

Die falsche Idylle

Ich habe diese Geschichte nicht nur erzählt, um klarzumachen, daß Wölfe und alle Wildcaniden nichts von antiautoritärer Erziehung halten. Inzwischen haben selbst Menschen begriffen, daß auch Kinder in einen Rahmen von Erlaubtem und Nichterlaubtem hineinwachsen müssen. Diese Situation, die sich ganz ähnlich und bei gleichem Entwicklungsstand der Welpen bei allen Raubjägern abspielt, zeigt, welche Einstellung Hunde Kindern gegenüber haben, die ja Mitglied der Familie des Menschenrudels sind. Sie können auf Kinder nur übertragen, was Instinkt und Erfahrung sie gelehrt haben:
    Ganz kleine Kinder sind absolut tabu. Sie dürfen alles und müssen von allen davor bewahrt werden, durch ihre eigene Tolpatschigkeit Schaden zu nehmen. Auch der kleine Wolf konnte noch einen Tag zuvor alle Rudelmitglieder überallhin beißen und dem Boß den Knochen aus dem Maul nehmen. Wenn also das Baby bei dem Versuch, auf die Beinchen zu kommen, das Hundeohr zu Hilfe nimmt, dann wird sich der Hund mit der gleichen schmerzlichen Verlegenheit entwinden, mit der Onkel Paul das erstaunlich fest klammernde Händchen seines halbjährigen Neffen aus seinem Schnauzer loswindet.
    Aber, und hier beginnen in den Familien mit Kind und Hund die Mißverständnisse, die zu Katastrophen führen können: das bleibt nicht immer so. Das Kind wächst heran und aus dem Stand der Unschuld heraus. Es lernt jeden Tag mehr. Und was lernt es? Unter anderem: wie seine Eltern, Großeltern und andere erwachsene «Clanmitglieder» mit dem Hund umgehen, welche Stellung sie ihm zubilligen und welche Stellung er einnimmt (was nicht immer dasselbe sein muß).
    Wird der Hund freundlich und mit selbstverständlichem Respekt behandelt, gesteht man ihm seine Bedürfnisse zu: essen, schlafen, Spazierengehen, spielen zum Beispiel, tabuisiert man seinen Schlafplatz und läßt ihn ungestört essen, dann wird das Kind in diese Haltung der Familie zum Hund ganz selbstverständlich hineinwachsen. Der Hund, der – ich werde hier ruhig mal dramatisch – sein Leben eingesetzt hätte, um das hilflose Baby zu beschützen, wird diese Einstellung dem heranwachsenden Kind gegenüber behalten und selbst von der so anders gearteten Intelligenz des menschlichen Partners profitieren.
    Brüllen die Eltern mit dem Hund herum, lassen sie ihre Launen an ihm aus, wie ihnen gerade das Hütchen steht, nehmen sie das Kind am Ende mit auf den Hundevernichtungsplatz des «Hundesportvereins» und zeigen dem Kind, wie sie dem Hund zeigen, was eine Harke ist, wie der Hund sich «unterzuordnen» hat und bedingungslos «parieren» muß, erlebt das Kind gar, wie an dem vermeintlichen Familienmitglied Gewalt ausgeübt wird, sieht es nur einmal, daß der Hund geschlagen wird, dann wird das Kind – weil es eben nicht nur Gutes und Vernünftiges nachzumachen versucht –auch das tyrannische Herrschaftsgebaren der «Führungsspitze» irgendwann übernehmen wollen. Und es wird sein blaues Wunder erleben.
    Was der Hund, roher Gewalt ausgesetzt, von dem «Patriarchen» gerade noch hinnimmt, das wird er von Kindern, die in der Rangliste nach seinem Verständnis ganz unten stehen, nicht dulden. Er wird das herumkommandierende Kind zunächst mit Nichtachtung strafen, einfach weggehen. Wenn er das nicht kann und das Kind wird lauter und schließlich handgreiflich, dann wird er seinen Standpunkt deutlich machen. Seine Standpunkte sind seine Zähne. Und wenn man weiß, daß schon ein Dackel die doppelte Kieferkraft eines erwachsenen Mannes hat, dann kann man sich über die definierte Selbstbeherrschung unseres Hundes nur wundern: Der zu Recht Empörte hinterläßt vier blaue Punkte auf dem Kinderarm oder -bein. (Ich spreche hier vom psychisch und genetisch normalen Hund; über die Neurotiker auf vier Beinen später.)
    Der Hund hat also getan, was er glaubte tun zu dürfen, ja tun zu müssen. Der junge Wolf, der sich nicht der Ordnung fügt, die die erwachsenen Rudelmitglieder verkörpern, gefährdet die ganze Gemeinschaft.
    Was aber geht jetzt in der Menschenfamilie los! Das Kind schreit zetermordio, die Mutter läßt Kochlöffel oder Telefonhörer fallen und stürzt auf
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