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Hüter der Macht

Hüter der Macht

Titel: Hüter der Macht
Autoren: Rainer M. Schroeder
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sich durch den Tordurchgang zerren, hinein in eine leer stehende Werkstatt. Einer der Männer, die mit dem Leiterwagen und den Heuballen die Gasse versperrt hatten, schloss die Brettertür und schob einen Riegel vor.
    »Schnell jetzt! Löst sie von der Kette!«, befahl eine Stimme. »Und dann fesselt und knebelt die Wärter!«
    Tessas Kopf fuhr herum. Sandro! Das war Sandros Stimme!
    Und da erkannte sie ihn im Halbdunkel hinter sich. Er hatte einen Finger warnend auf die Lippen gelegt. Noch immer war er als Mönch verkleidet.
    Rasselnd fiel die Kette zu Boden, es folgte ein schneller Schnitt mit dem Messer durch das Seil ihrer Handfessel und sie war frei. Sogleich packte Sandro sie am Arm und zog sie mit sich fort zu einer Hintertür.
    »Still, mein Liebling!«, raunte er ihr zu und drückte ihr einen hastigen Kuss auf den Mund. »Wir müssen aus der Stadt sein, bevor der Überfall bekannt wird und die Torwachen alarmiert sind!«
    Hinter der Tür öffnete sich ein schmaler Durchlass, der zwei hohe Häuser voneinander trennte. Sandro zog Tessa hinter sich her bis zu einem großen Schuppen am anderen Ende, in dem allerlei Bauholz gestapelt war. Mittendrin stand ein Fuhrwerk mit einem Apfelschimmel davor. Auf der Ladefläche türmten sich Särge aus einfachem Pinienholz. Einer von ihnen war offen. Und daneben stand Jacopo.
    »Willkommen in der Freiheit, Tessa!«, rief er ihr leise zu. »Ich hoffe, meine Leute haben dich nicht gar zu sehr in Angst und Schrecken versetzt!«
    Tessa war noch immer viel zu erschüttert, um etwas zu erwidern. Ihr Körper spürte die Freiheit, an die sie nicht mehr geglaubt hatte, aber ihr Verstand konnte noch nicht begreifen, was geschah.
    Fest klammerte sie sich an Sandro, den einzigen Fels in der Brandung ihrer wogenden Gedanken.
    »Tessa, wirklich frei bist du erst, wenn wir dich heil aus der Stadt gebracht haben«, sagte er mit rauer Stimme. Offenbar ahnte er, in welchem Aufruhr sich ihre Gefühle befanden, und ihm schien es ähnlich zu gehen. »Du musst jetzt eins für mich tun, meine Geliebte. Leg dich dort in den Sarg. Es wird ein bisschen eng, aber anders geht es nicht. Und dann werden wir wieder vereint sein. Ich verspreche es dir.«
    Tessa nickte benommen. Dann ließ sie sich von Sandro in den Sarg helfen. Als der Deckel sich über ihr schloss und sie abermals in der vertrauten Dunkelheit versank, lächelte sie.
    Sie wusste, es würde das letzte Mal sein, dass sie in einem finsteren Loch eingesperrt sein würde.
     
    Wenig später war das Gespann unterwegs. Sandro und Jacopo hatten einen zweiten Sarg auf den gewuchtet, in dem Tessa lag, um danach die Ladung mit Stricken festzuzurren. Jacopo hatte sich auf den Kutschbock geschwungen, während Sandro ein breites Tor aufstieß. Nun rumpelte der Wagen aus dem Schuppen und hinaus auf eine kleine Piazza. Sandro schloss das Tor, eilte hinter dem Fuhrwerk her und saß Augenblicke später neben Jacopo.
    »So weit, so gut«, sagte dieser mit einem breiten Grinsen. »Lief wirklich alles wie am Schnürchen. Hat aber auch eine hübsche Summe Geld gekostet. Schätze mal, du stehst bei Ser Cosimo jetzt tief in der Kreide.«
    Sandro lachte. »Das macht mir wenig aus, auch wenn es noch lange dauert, bis ich meine Schulden abbezahlt habe. Für Tessa und unseren kleinen Jacopo hätte ich mich notfalls auch mit dem Teufel eingelassen.«
    Zügig lenkte Jacopo das Fuhrwerk durch die belebten Straßen von Florenz. Sie nahmen den kürzesten Weg und hatten bald die Porta alla Croce erreicht. Die Wachen hielten sich nicht lange mit ihnen auf. Als Sandro ihnen sagte, dass in seinem Kloster viele seiner Mitbrüder an den Folgen einer noch unbekannten Krankheit gestorben seien und sie die Toten vorsorglich vor der Stadt beisetzen würden, sprangen sie sofort zurück.
    »Verflucht sollt Ihr sein, wenn Ihr uns damit angesteckt habt!«, rief einer der Wachposten ihnen erschrocken zu und bekreuzigte sich.
    Sandro hatte Mühe, ernst zu bleiben. »Der Herr wird seine Hand schützend über euch halten«, sagte er salbungsvoll und machte das Kreuzzeichen.
    Jacopo ruckte am Zügel und folgsam trabte der Apfelschimmel wieder an. Das Fuhrwerk rollte durch das tiefe Torhaus – hinaus in den sonnendurchfluteten Morgen der Freiheit.

E PILOG
    D ie Abbrucharbeiten an der Häuserzeile in der Via dei Cresci, die Lionetto Vasetti aufgekauft hatte und zu der auch ein kleiner, heruntergekommener Palazzo gehörte, waren zum Erliegen gekommen.
    Am 8. Oktober 1434, kurz nach
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