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Hühnergötter

Titel: Hühnergötter
Autoren: Birgit Lautenbach
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nächsten beiden Stunden ruhig. Marie zog das Insektennetz um das Wagenverdeck fürsorglich fest, bevor sie das Kind in den Schatten des Apfelbaumes zwischen Haus und Atelier stellte.
    Sie begann ihre Arbeit dort, wo sie vor einer Stunde aufgehört hatte, trug die Wäsche zur Waschmaschine, saugte die Fußböden sorgfältig ab, um sie anschließend feucht zu wischen. Reinigte Duschwanne und Toilette. Als sie die Sesselpolster zum Lüften nach draußen trug, sah sie nach dem Kind. Nickte den vier Hamburgerinnen aus dem Haus auf der Wiese zu, die sich lachend über den Wagen beugten. Erleichtert, wie Marie schien. Frauen um die sechzig, die den Spagat zwischen Arbeit und Kind hinter sich hatten. Jedes Jahr kamen sie für eine Woche. Klönen, kochen, Karten spielen. Ohne Männer, ohne Stress. Marie wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und hätte sich auch gern in Leinenkleid und Sandalen zum Strand schlendern sehen, anstatt in ausgeleierten Shorts und verwaschener Bluse Fenster zu putzen. Zwischendurch warf sie einen Blick auf die Uhr. Halb zwei. Noch die Betten beziehen. Den Blumenstrauß auf den Esstisch. Dann konnte sie duschen. Oder erst das Kind stillen. Um Viertel vor drei wollte sie am Hafen sein, rechts den Wagen mit dem Kind, links den für das Gepäck, das die Lehmanns von der Fähre schleppten.
    Deine Planung ist eben schlecht, sagte Oliver gern. Wenn du besser planen würdest, könntest du dir eine Menge Stress sparen.
    Für morgen plane ich gar nichts, dachte sie, während das Fensterleder über die letzte Scheibe quietschte. Morgen werde ich den ganzen Tag für mich haben. Für mich und Leonie. Ihren Geruch. Das juchzende Lachen, das seit ein paar Tagen neu ist und sich nach Glück anhört.
    Einmal hatte der Kinderwagen kurz geschaukelt. Als sie jetzt nach dem Kind sah, schlief es wieder mit gleichmäßigen Atemzügen und fest geschlossenen Augen. Kein Liderzucken kündigte das Ende der Mittagsruhe an. Kurz vor zwei. Wenn sie sich mit dem duschen beeilte, blieb genug Zeit, dem Kind noch in Ruhe die Brust zu geben.
    Marie konnte nicht ahnen, dass sie diesen Moment hundertmal, tausendmal durchdenken würde. Den letzten Blick auf das Kind, mit dem sie sein Bild nur flüchtig in sich aufnahm, und es dann ein wenig weiter Richtung Zaun in den Apfelbaumschatten schob. Die offenen Fenster des Ateliers hinten im Garten, die Bilder auf den Staffeleien vor der Tür. Der Zaun. Der Weg quer durch die Wiese. Die Menschen darauf. Der Baum mit den halb reifen Äpfeln. Das sonnenverdorrte Gras im Garten. Die Heckenrosen an der Straße.
     
    Es kam selten vor, dass Oliver das Kind aus dem Wagen nahm. Entweder er meldete: »Leonie weint«, oder er schob den Kinderwagen so weit in Maries Nähe, dass sie es selbst hören musste. Wahrscheinlich hatte er vergeblich gerufen, während sie unter der dusche stand, und so hatte er sich seiner schreienden Tochter erbarmt. Dabei musste er es eilig gehabt haben, denn das Insektennetz war nur halb vom Verdeck gezogen, die dünne decke mit dem Muster aus bunten Bällen und Teddybären achtlos zur Seite geschoben.
    Langsam schlenderte Marie Richtung Atelier und genoss zum ersten Mal an diesem Tag die Wärme, in der ihr Haar schon fast getrocknet war. Nur zwischen den Schulterblättern lag es noch kühl und feucht auf der Haut. Sie fuhr sich mit gespreizten Fingern den Nacken hoch, um es aufzulockern. Durch die weit geöffneten Fenster sah sie die Bilder an den weiß gekalkten Wänden und hörte Gelächter. Frauenstimmen. Marie sah prüfend an sich herab. Doch, befand sie, so konnte sie sich sehen lassen. Hellblaues Sommerhemd, saubere Shorts, weiße Leinenschuhe statt der Arbeitslatschen vom Vormittag. Wenn sie schon in Olivers Reich auftauchte, wollte sie ihm keinen Anlass zu spöttischen Blicken geben oder, schlimmer noch, für das gereizte Zögern in seiner Stimme, wenn er sie seinen Kunden vorstellte.
    Zwei Frauen standen mit dem Rücken schräg zur Tür, jede ein Glas Wasser in der Hand, vor ihnen auf der Staffelei eine Heidelandschaft mit den üblichen Beigaben. Blauer Himmel über einer weiten violetten Fläche. Weiße Sommerhäuser zwischen niedriges Buschwerk getupft, im Hintergrund Bodden. Die Frauenköpfe wiegten von rechts nach links. Gleich würden sie ein Stück zurücktreten und den Blick auf Oliver und Leonie freigeben.
    Marie hob erstaunt die Augenbrauen. Sie sah Oliver in seiner Lieblingshaltung, die linke Hand in der Hosentasche, die rechte frei
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