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Hühnergötter

Titel: Hühnergötter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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zum Gestikulieren. Er hielt in der Bewegung der erhobenen Hand inne.
    »Was ist?«, fragte er knapp. Er ließ sich ungern in Verhandlungen stören.
    »Wo ist Leonie?« Sie ging zögernd auf ihn zu, während ihr Blick über die Sitzgruppe mit den beiden Sesseln und dem kleinen Tisch weiter zum Zeichentisch wanderte und dann an der steilen Stiege hinauf unters Dach hängen blieb. »Hast du sie nach oben gebracht?«
    Sie konnte kaum glauben, dass er das Kind auf die Matratze in dem niedrigen, stickigen Raum dort oben gelegt hatte.
    »Bist du verrückt? du hast sie doch draußen in den Wagen gelegt.« Ihm schien nicht klar zu sein, was er da sagte. Er musste doch wissen, dass sie nicht nach dem Kind fragen würde, wenn es noch unter dem Apfelbaum schliefe. Die Angst schoss in jede Faser ihres Körpers. Am liebsten hätte sie laut geschrien, aber sie stürzte nur wortlos an den beiden Frauen vorbei, die nicht begriffen, was sich vor ihren Augen abspielte.
    Sie rannte zum Haus, machte kehrt und hastete zum Kinderwagen zurück, der genauso leer und verlassen dastand wie ein paar Minuten zuvor.
    Josefine sah ihr wie erstarrt entgegen, als sie die Stubentür aufriss und schrie: »Hast du Leonie gesehen ?« Bevor Fine antworten konnte, stürmte Marie weiter in die Küche, in das kleine Zimmer daneben, die Treppe hinauf und oben durch alle Räume.
    Als ob ein drei Monate alter Säugling sich allein auf den Weg in sein Kinderzimmer machen konnte.
     

     
    An der Wand gegenüber hing der Jahreskalender, weiter rechts das Gewerkschaftsplakat mit der Polizeimütze : Ihre Sicherheit ist unser Auftrag.
    Dazwischen die Urkunde Achtzig Jahre Polizeistation Hiddensee 1924-2004 , die irgendein Witzbold mit einer silbernen Jubiläums-Achtzig gebastelt und an die Tür der Station gepinnt hatte.
    Eigentlich gar nicht so schlecht, dachte Polizeiobermeister Pieplow und überlegte, ob er zum hundertsten Jahrestag noch hier sein würde. Falls ja, dann nur wenn sich frauenmäßig bald mal was Festes ergab. Weiß der Kuckuck, warum das bisher nicht geklappt hat, dachte er missmutig. So schlecht sah er doch gar nicht aus. Eins achtzig groß, blond, kein Bauchansatz, trotz seiner zweiunddreißig Lenze, blaue Augen und kein bisschen Haarausfall.
    »Die von Löwe waren besser.« Lothar Kästner stützte den Ellenbogen auf den Schreibtisch und begutachtete den Berliner in seiner Hand, indem er ihn bedächtig zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her drehte. Der Puderzucker rieselte auf den ungeschriebenen Tagesbericht. Polizeihauptmeister Kästner war seit vierzehn Jahren Schutzpolizist auf Hiddensee, stationiert in der »Hauptstadt« Vitte, und von Berlinern verstand er was. Die von Bäcker Löwe am Norderende waren in Vitte die besten gewesen, das war mal sicher. Aber den gab’s ja leider nicht mehr. Und extra nach Kloster zu fahren, um sich in die lange Schlange vor Bäcker Kasten einzureihen, dazu hatte er keine Lust gehabt.
    »Mh«, machte Pieplow nur. Einerseits, weil er den Mund voll Pfannkuchen hatte, andererseits, weil er der Neigung seines Kollegen, alles Vergangene grundsätzlich besser zu finden als das Gegenwärtige, nicht unnötig Vorschub leisten wollte. Kästner war ranghöher, dienstälter und gebürtiger Hiddenseer. Pieplows Familie stammte vom Darß, und schon deswegen konnte er sich über einen Mangel an abfälligen Bemerkungen nicht beklagen.
    »Wir haben die Darßer noch nie ausstehen können«, gehörte zu Kästners Standardrepertoire, gerade so, als gehe es heute noch darum, an wessen Westküste die erfolgreichste Strandräuberei betrieben wurde. Dabei waren Kästners Großeltern ostpreußische Bauern gewesen, die der Flüchtlingsstrom nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Insel gespült hatte.
    Auf dem Schreibtisch dampfte der Kaffee aus zwei Großraumpötten.
    »Nach’m Kaffee fahrn wir ’ne Runde.« Kästner hatte nun doch vom Berliner zweiter Wahl abgebissen und sprach undeutlich.
    »Mh«, machte Pieplow wieder und pustete mit spitzen Lippen in seinen heißen Kaffee.
    Den Behauptungen der Hiddenseer, ihre Polizisten hätten den ganzen Tag nichts zu tun, begegnete man am besten mit einer der wichtigsten polizeilichen Tätigkeiten. »Wir müssen Präsenz zeigen«, gehörte auch in den Fundus von Lothar Kästners Erkenntnissen.
    Er wird den Satz bei einer Revierleiterfortbildung aufgeschnappt haben oder in einem Fernsehkrimi, Polizeiruf 110, dachte Pieplow, als das Telefon klingelte.
    »Polizeistation Hiddensee.« Kästner

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