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Horror Factory 02 - Crazy Wolf: Die Bestie in Mir

Horror Factory 02 - Crazy Wolf: Die Bestie in Mir

Titel: Horror Factory 02 - Crazy Wolf: Die Bestie in Mir
Autoren: Christian Endres
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Second-Hand-Laden ein paar Straßen weiter finde ich Klamotten, die mir besser passen als mein derzeitiges Outfit, das ebenfalls schon einen Vorbesitzer hatte.
    Die Frau hinter dem Tresen ist eine nette alte Lady und stellt keine Fragen, als ich einen Tausch vorschlage und ihr den pelzgefütterten Mantel zur Inspektion überreiche.
    Hölle, was hab ich eine halbwegs vernünftig sitzende Jeans und ein Paar gut passende Stiefeletten vermisst!
    Ich streune noch ein bisschen durch den Laden und wühle mich durch die Kleiderständer, einfach nur, weil es sich so herrlich normal anfühlt, selbst wenn es nur Illusion ist.
    Dabei fällt mir eine Lederjacke ins Auge.
    Meine Finger fahren über das speckige Leder.
    Riecht nach teuren alten Autositzen.
    Leider hab ich nichts mehr zum Tauschen.
    Und Wolfsfell wird sie kaum wollen.
    »Nehmen Sie sie«, ertönt da auf einmal die Stimme der betagten Besitzerin.
    Ich drehe mich um.
    Sehe sie verwundert an.
    Sie sagt:
    »Frohe Weihnachten, junger Mann.«
    Weihnachten?
    Scheiße.
    Hastig wende ich mich ab.
    Beiß mir auf die Unterlippe.
    Kämpfe die Tränen zurück.
    Das muss aufhören.
    Nein, nicht Weihnachten.
    Dass mir jede Erinnerung daran, was man mit mir gemacht hat und wie viel ich verloren habe, das Wasser in die Augen treibt.
    Ist ja nicht so, dass mir Weihnachten sonst viel bedeutet hätte.
    Ich räuspere mich, finde meine Fassung wieder.
    Setze die passende Maske auf.
    »Ich … danke.«
    »Schon gut.«
    »Danke.«
    Ein warmes, freundliches Lächeln, das beinahe schon wieder zu viel für mich ist.
    »Na los. Ziehen Sie sie mal an.«
    Ich nehm die Jacke vom Bügel und schlüpfe hinein.
    Passt wie angegossen.
    Darin sollte man mich beerdigen.
    »Steht Ihnen gut«, lautet auch das fachkundige Urteil.
    Ich versuche, in dem schmalen, dreckigen Spiegel zwischen den Ständern einen Blick auf meine Erscheinung zu erhaschen.
    Hab mich noch immer nicht an den Bergsteigerbart gewöhnt.
    »Finden Sie?«
    »Aber hallo! Wenn ich nur vierzig Jahre jünger wäre …«
    Ich grinse, und zwar nicht nur, weil ich weiß, dass man es von mir erwartet, und gehe zum Tresen neben der Tür.
    Küsse die ergraute Lady, die plötzlich ganz schweigsam wird und an ihrer Kasse herumfummeln muss, auf die Wange.
    »Danke«, sage ich außerdem noch einmal.
    Bei Verlassen des Ladens frage ich mich, ob es tatsächlich stimmt, was man über die Nettigkeit der Kanadier sagt.
    Nun.
    Ich bin kein Kanadier.
    Und da ich schon verzweifelt losbrüllen möchte, bloß weil mir jemand frohe Weihnachten wünscht, werd ich in absehbarer Zeit auch nicht ins Lager der netten Menschen überwechseln.
    Im Gegenteil.
*
    Ich wusste, dass die Erinnerungen in dem Moment auf mich einstürmen würden, in dem ich einen Fuß aus dem Bus setze.
    Ist jedoch heftiger, als gedacht.
    Muss mich erst mal auf die nächste Bank setzen.
    Schließe die Augen und inhaliere die Gerüche der Stadt.
    Unverkennbar Seattle.
    Mir war bisher nie klar gewesen, dass ich diesen Ort mehr als jeden anderen als mein Zuhause betrachte.
    Könnte ewig so sitzen bleiben.
    Dem Puls der City mit allen Sinnen lauschen.
    Als passiver Statist im Leben der Anderen fungieren.
    »Ich werd dir nicht bei dem helfen, was du da vorhast, Kid«, ertönt plötzlich Dead Crows Stimme neben mir und zerstört die falsche, fadenscheinige Idylle. »Ich bin weg, wenn du das durchziehst. Endgültig.«
    »Warum?«, frage ich, obwohl die eigentliche Frage lauten sollte, was mein Unterbewusstsein mir sagen möchte.
    Dass ich es sein lassen, wieder in den Bus steigen und mir einen Ort suchen soll, an dem ich in Frieden leben kann?
    »Weil es Schwachsinn ist«, sagt Dead Crow. »Du kannst hier nichts gewinnen. Hier hast du bereits alles verloren.«
    »Du weißt, was sie getan haben.«
    »Ein Grund mehr, nicht mehr hierher zurückzukommen.«
    »Was ist mit Rache?«
    »Was ist mit Leben?«
    »Du wirst mich nicht davon abbringen.«
    Der alte Indianer auf der Bank neben mir nickt.
    Schwer zu sagen, ob er traurig aussieht.
    Ein paar Passanten, die auf dem Weg zu ihrem Bus vorbeikommen, werfen mir schräge Blicke zu.
    Dead Crow steht auf.
    Seine Miene hat etwas Feierliches an sich.
    »Tu, was du tun musst. Aber ohne mich.«
    Ich sehe erstaunt zu ihm auf.
    »Pass auf dich auf, Kid«, sagt er nur und geht schnurstracks auf den nächstbesten Bus zu, wo er sich hinter den anderen Zusteigenden anstellt.
    Blickt nur noch einmal kurz zurück.
    Beim nächsten Blinzeln ist er fort.
    Doch auch das wird
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