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Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen

Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen

Titel: Hopp! Hopp! Es geht weiter. Vom Glück und Unglück eines Reiseleiters im Wilden Westen
Autoren: Oliver Tappe
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einer im Bus, dauert es nicht lange und die ganze Brigade macht die Äuglein
zu. Mitunter auch der Reiseleiter, obwohl der eigentlich wach bleiben sollte.
Inzwischen schaffe ich das ganz gut. Es hat mich jedoch jahrelanges Training
gekostet, meine Augen weitgehend geöffnet zu halten. Eine meiner Kolleginnen
ist dafür bekannt, dass sie mitunter sehr spontan einschläft und nicht einmal
das Mikrofon ausschaltet. Während es still und selig auf ihrem stabilen Busen
ruht, wird ihr Schnarchen live durch alle Lautsprecher übertragen - sehr zur
Belustigung der Gäste. Auch ich kämpfte an diesem Nachmittag mit der Müdigkeit,
wollte aber Chicken-George auf keinen Fall aus den Augen lassen. Auf der Bank
mir gegenüber saß die junge Frau Bitterbier. Sie war putzmunter und aufgedreht,
obwohl sich der Rest der Gruppe längst ins Land der Träume begeben hatte.
    „Könnten wir
nicht das Radio anmachen oder eine CD einlegen?“, fragte sie gelangweilt.
    „Ich glaube,
das ist keine gute Idee. Dann werden die anderen gleich wieder wach.“
    „Kann das denn
nicht so eingestellt werden, dass man die Musik nur hier vorne hört?“
    Diese Frage
konnte ich nicht beantworten und gab sie an George weiter.
    „Das sollte
kein Problem sein“, sagte er brummelnd durch seinen Bart. „Ich schalte einfach
die Lautsprecher in der Kabine aus. Nur die kleinen Boxen im Fahrerraum geben dann
Musik wieder.“
    Frau
Bitterbier war begeistert.
    „Na, dann mach
mal“, bat ich George.
    Ich
beobachtete, wie er an den Knöpfen der kombinierten Audio- und Videoanlage
herumdrückte. Die Entertainmentanlagen in den Reisebussen Mitte der neunziger
Jahre waren noch recht primitiv. Zwar gab es schon CD-Spieler, aber noch keine
DVD-Geräte oder iPod-Adapter. Lediglich ein Abspielgerät für Videokassetten
gehörte neben dem obligatorischen Radio noch zur Standardausstattung. Ähnlich
wie in älteren Flugzeugen hingen im Passagierraum sieben oder acht klobige
Bildschirme. Da ich zu den Reiseleitern gehöre, die ungern während der Fahrt
Filme zeigen, erfüllten diese einzig und allein den Zweck, den Gästen die Sicht
nach vorn zu versperren.
    Chicken-George
hatte offenbar Probleme mit der Anlage und fluchte leise vor sich hin.
    „Vielleicht
lassen wir es doch besser mit der Musik“, schlug ich vor. „Wir machen sowieso
in zehn Minuten einen Fotostopp.“
    In
Wirklichkeit war mir daran gelegen, dass George beim Fahren die Augen auf die
Straße gerichtet hielt, anstatt sich mit der dämlichen Musikanlage zu
beschäftigen. Plötzlich tönte im Passagierraum ein undefinierbares Getöse aus
den Lautsprechern. Im Nu waren alle Gäste wach und schauten verwirrt um sich.
Ich konnte mir nicht erklären, was da aus den Boxen kam. Musik war es
jedenfalls nicht. Aus der Reihe hinter mir nahm ich einen spitzen Schrei wahr. Was,
zum Teufel, ist hier eigentlich los? George fummelte noch immer wie
besessen an den Knöpfen herum und Frau Bitterbier sah mich ratlos an. Ich
blickte mich um und bemerkte, wie alle Passagiere gebannt auf die Bildschirme
starrten. Das Geräusch wurde lauter und lauter. Ich erhob mich ruckartig aus
meinem Sitz und ging ein Stück nach hinten. Auf der Mattscheibe sah ich ein
nacktes Paar, das auf einem Schreibtisch rammelte und stöhnte, was das Zeug
hielt. Da lief doch tatsächlich ein Hardcore Porno in voller Lautstärke – und
das in meinem Bus. Ausgerechnet im Juli, mitten in den Schulferien, als sich
vierzehn Minderjährige an Bord befanden. Einige Männer in der Gruppe begannen
zu pfeifen. Die Teenager kicherten hysterisch und den Müttern stand das blanke
Entsetzen in den Gesichtern geschrieben. Der ganze Vorfall dauerte etwa zwanzig
oder dreißig Sekunden. Dann war es blitzartig still. Totenstill. Ich wagte
nicht einmal zu atmen. Chicken-George liefen dicke Schweißperlen über die
Stirn. Fast automatisch griff ich nach dem Mikrofon, hatte aber keine Ahnung,
was ich meinen Gästen nun sagen sollte. So etwas war mir noch nie passiert. Wie
verhält sich ein Reiseleiter in so einer Situation?
    „Hey, Oliver,
sag doch bitte dem Fahrer, er soll den Film wieder anmachen“, hörte ich eine
Männerstimme rufen.
    Ein Teil der
Gruppe brach in Gelächter aus. Andere reagierten verärgert.
    Ich holte tief
Luft.
    „Liebe Gäste“,
begann ich. „Mir fehlen die Worte. Gern würde ich jetzt etwas Intelligentes
sagen, aber mir fehlen ganz einfach die Worte.“
    Nun lachten fast alle.
    „Zumindest
wissen wir jetzt, warum unser Fahrer heute
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