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Honecker privat

Honecker privat

Titel: Honecker privat
Autoren: L Herzog
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»Dienstleistungswürfel« mit Post, Sparkasse, chemischer Reinigung, Zeitungskiosk, Blumenladen, Jugendklub und Schwimmhalle, alles logisch und vernünftig. Dazu viel Grün im Kiez und unweit die sogenannte Oderbruchkippe, ein Trümmerberg ähnlich dem »Mont Klamott« im Friedrichshain, auf dem die Kinder rodeln oder Ski fahren konnten (selbst Schnee gab es damals noch).
    Ich hatte soeben meinen Einjahreslehrgang auf der Kreisparteischule am Abend absolviert, vier Jahre später sollten mich die Genossen zu einem ebenso langen Kurs an die Bezirksparteischule schicken. Ich müsse nicht nur gastronomisch, sondern auch politisch hinlänglich qualifiziert sein, meinten sie. Nichts dagegen zu sagen, ich nahm das Angebot gern an, wenngleich wohl auch sie dem Irrtum unterlagen, ich würde nicht nur bei Erich Honecker kellnern, sondern mit ihm auch politische Konversation pflegen.
    Das Abendstudium – neben all meinen dienstlichen und auch familiären Verpflichtungen – verlief unproblematisch. Es gab keine dramatischen Zuspitzungen wie etwa im Februar 1974, als ich Erich Honecker erstmals nach Kuba begleitete. Marianne musste damals unmittelbar vor meinem Abflug mit entzündetem Blinddarm ins Krankenhaus. So blieb mir nichts anderes übrig, als beide Kinder für die Dauer unserer Abwesenheit ins Heim zu geben. Nach meiner Rückkehr aus der Karibik holte ich zunächst meine Frau aus dem Krankenhaus und dann Peter und Beate aus dem Heim. Sie beklagten sich nicht, aber gaben uns unmissverständlich zu verstehen: nie wieder. Ich verstand das sehr gut: Ein Heim, und sei das Personal noch so sympathisch, ist kein Ersatz für eine Familie, es bleibt ein Heim und damit eine Einrichtung.

Die große Welt und der kleine Staatsmann
    Erich Honecker war kein Riese von Wuchs. Auf die etwa Einmetersiebzig schauten die meisten Politiker, denen er begegnete, von oben herab. Das verstärkte den ihm innewohnenden Minderwertigkeitskomplex. Im Unterschied zu anderen von seiner Statur versuchte er jedoch nicht, das etwa durch besonders schneidiges Auftreten, gar mit Witz oder Charme zu kompensieren. Er war kein Napoleon. Wobei gelegentlich durchaus Ironie aufblitzte. Als im Juli 1983 Franz Josef Strauß gelegentlich einer »Privatreise« am Werbellinsee vorbeischaute – die überraschende Begegnung mit dem Ministerpräsidenten aus München hatte Alexander Schalck-Golodkowski arrangiert – und sich die beiden Politiker für das Protokollbild aufstellten, sah man nicht nur, dass der bullige Bayer den Saarländer um einiges überragte, sondern dass sie sich auch in der Gewandung unterschieden. Honecker trug einen hellen Sommeranzug, Strauß einen dunklen. Das merkte auch dieser und machte selbst darauf aufmerksam, worauf Honecker salopp entgegnete: Sie sind doch nun mal ein Schwarzer.
    Bei den Auslandsreisen wurden wir wiederholt mit Unwägbarkeiten und Problemen konfrontiert, die sich nicht so leicht wegbügeln ließen wie ein falsches Dress. Ich lernte von Mal zu Mal und versuchte im Flieger zu kompensieren, was an Defiziten bei der Staatsvisite auftreten konnte. Honecker hielt sich bei fremder Küche immer sehr zurück, aß oft nur aus Höflichkeit etwas, um nicht die Gastgeber zu beleidigen, um sich dann an Bord des Flugzeuges – wie man so sagt – sattzuessen. Dies erklärte auch den bereits erwähnten Hang, nach der Abarbeitung des konzentrierten politischen Programms umgehend nach Hause zurückzufliegen.
    Dabei nutzte er aus Gründen der Bequemlichkeit eine der beiden umgebauten Salonflugzeuge des Typs IL 62M. Doch nicht nur deshalb: Der Riesenvogel machte natürlich auch etwas her. In dieser Hinsicht schien mir EH denn doch ein wenig eitel. Die vierstrahlige Iljuschin war vielleicht mit der Boeing 707 vergleichbar, wenngleich die ihre Turbinen an den Tragflächen, die IL 62 am Heck trug. Für mich war vor allem die ordentliche Bordküche interessant.
    In der zweiten Hälfte der 70er Jahre war Honecker so oft auf Reisen wie später nie wieder, wenngleich die Staatsbesuche in den 80er Jahren natürlich politisch gewichtiger waren: Japan, Österreich, Frankreich, Spanien, Belgien, Holland, Schweden, Finnland … Doch selbst bei Visiten in den Nachbarländern Polen und Tschechoslowakei benutzte er die IL 62, wohl auch um damit den Verbündeten zu zeigen, dass die DDR im Bündnis die Nr. 2 war.
    Und was auch kaum vorstellbar ist: einige Einladungen lehnte er gar ab. Nicht jedem Staat, insbesondere in der Dritten Welt, wo man ihn auch gern
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