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Home Run (German Edition)

Home Run (German Edition)

Titel: Home Run (German Edition)
Autoren: John Grisham
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fast ertrunken, doch Warren überstand das Ganze, ohne auch nur einen Tropfen Wasser abzubekommen.
    Wir lachen, weil man das von uns erwartet. Marv ist kein großer Redner, und ich habe den Eindruck, dass er das kürzere Streichholz gezogen hat. Ich kann mir gut vorstellen, wie diese alten Gockel vor einem Grill sitzen, Gin Rommé spielen und darüber streiten, wer auf wessen Beerdigung spricht. »Okay, Marv, du machst Warren, ich mache deine, und Fred macht meine.«
    Der Priester versteht sein Handwerk und füllt die noch vorhandenen Lücken. Er liest aus der Bibel, wobei er eine Präferenz für das Buch der Psalmen zu haben scheint. Er philosophiert über Gottes Liebe, Güte, Gnade, Seligkeit, und es wird deutlich, dass Agnes, was immer sie auch ist, weder Katholikin noch Jüdin noch Muslimin ist. Die Tatsache, dass Warren Profibaseballspieler war, erwähnt er zu keinem Zeitpunkt. Als wir uns dem Ende nähern, teilt er uns mit, dass Warren im Anschluss an die Trauerfeier bestattet werde, den Gang hinunter, Wand D im dritten Pavillon, im engsten Familienkreis.
    Ich beschließe, die Bestattung auszulassen. Das Loch in der Wand, in dem Warrens Asche die Ewigkeit verbringen wird, will ich nicht sehen. Das soll Agnes übernehmen. Sie ist die Einzige, die vielleicht in den nächsten drei Monaten einmal im Monat vorbeikommen, seinen Namen auf der Steinplatte berühren und versuchen wird, ein bisschen Gefühl aufzubringen. Ich weiß, dass ich nicht mehr herkommen werde.
    Außerdem will ich mit Joe reden.

24
    Der Meditationsraum ist gerade leer, und wir nehmen ihn für ein paar Minuten in Beschlag. Er hat noch mehr Ähnlichkeit mit einem Kerker als die Kapelle und sieht aus, als würde er nie benutzt werden. Wir stellen vier Stühle im Kreis auf und setzen uns.
    »Ich bin wirklich gerührt, dass Sie von so weit hergefahren sind«, fange ich an.
    »Joe ist seit dem Spring Training 1973 nicht mehr in Florida gewesen«, erwidert Red. »Er wollte mal raus aus der Stadt, also sind wir hergekommen.« Ich rufe mir ins Gedächtnis, dass alle drei in den Minor Leagues Baseball gespielt haben, und wie die meisten anderen potenziellen Kandidaten waren sie jedes Frühjahr ins Trainingslager gefahren, genau wie die alten Hasen. Als Spieler in verschiedenen Mannschaften waren sie oft wochenlang im Bus unterwegs. Sie haben mehr vom Land gesehen als ich.
    »Danke, dass Sie gekommen sind«, sage ich.
    »Und wir danken Ihnen, dass Sie Ihren Dad nach Calico Rock gebracht haben. Sie können sich gar nicht vorstellen, was das für Joe bedeutet hat«, meint Charlie. Joe lächelt, nickt und begnügt sich damit, seinen Brüdern die meiste Zeit über das Reden zu überlassen.
    »Es hat ihm wirklich viel bedeutet«, bekräftigt Red.
    »Mein … Beileid«, sagt Joe.
    »Danke, Joe.« Er trägt immer noch die Sonnenbrille, um sein schlimmes Auge zu verstecken, doch knapp darüber sieht man eine leichte Delle in seiner Stirn. In den Zeitungen stand, dass er auf dem Weg ins Krankenhaus dreimal zu atmen aufgehört habe.
    »Joe hat Ihnen etwas mitgebracht«, sagt Red.
    Mit seiner gesunden Hand greift Joe in die Innentasche seines Blazers und zieht einen Umschlag heraus. Obwohl ich ihn seit dreißig Jahren nicht mehr gesehen habe, erkenne ich ihn sofort. Es ist der Brief, den ich im September 1973 an der Joe-Castle-Wand im Mount Sinai Hospital hinterlassen hatte. Joe drückt ihn mir in die Hand. Mit einem breiten Lächeln sagt er: »Ich … möchte … dass … Sie … ihn … bekommen.«
    Langsam öffne ich den Umschlag und ziehe meinen Brief heraus. Vor mir sehe ich den in Druckschrift zu Papier gebrachten Kummer eines elfjährigen Jungen: »Lieber Joe, ich heiße Paul Tracey und bin der Sohn von Warren. Was mein Vater getan hat, tut mir sehr leid.« Als ich weiterlese, überwältigen mich die Gefühle aus jenem Sommer und Herbst. Sechs Wochen lang bestand meine Welt aus Joe Castle. Ich dachte ständig an ihn. Ich las alles, was ich über ihn finden konnte. Ich verfolgte jedes seiner Spiele, kannte alle seine Stats. Ich träumte sogar davon, im selben Team wie er zu spielen – er war nur zehn Jahre älter als ich. Wenn ich es mit zwanzig in die Major Leagues geschafft hätte, wäre er immer noch im besten Alter gewesen. Wir hätten Mannschaftskameraden sein können.
    Dann wurde er verletzt. Und dann war er auf einmal nicht mehr da.
    Als ich den Brief zu Ende gelesen habe, stehen mir die Tränen in den Augen, doch ich bin fest entschlossen, nicht die
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