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Holy Shit

Holy Shit

Titel: Holy Shit
Autoren: Rolf-Bernhard Essig
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Ritz
    Mien Vadder hätt’n Rhabarberstang
    Door mookt he de lütten Kinner mit bang.
    Und man stößt auf fast schon groteske Veralberungen nationalen Liedguts, hier der alten preußischen Hymne »Heil dir im Siegerkranz«:
    Heil dir im Siegerkranz
    Mutter mir hängt der Schwanz
    Drei Meter raus
    Hol schnell die Schere raus
    Schneid mir die Eier aus
    Häng sie zum Fenster naus
    Zum Ausverkauf.
    Im Zweiten Weltkrieg parodierte man Schlager und sang komisch verzweifelt:
    Hörst du mein heimliches Fluchen
    Kreiz Kruzifix Sakrament
    Wird denn heute Nacht
    Überhaupt koa Rast net gemacht
    Jo hat denn der Tschach nie ein End?
    Überhaupt das Singen! Kinder lieben es, manches Lied dutzendfach zu wiederholen. Im Austausch untereinander verändern sie die Texte dann blitzschnell ins Ordinäre und können sich beeumeln, wenn eins das andere noch überbietet mit unanständigen Einfällen. So überleben in Schimpf-, Fluch- und Spottweisen viele alte Melodien und Texte. Unsterblich ist wohl der »Jäger aus Kurpfalz«, der sich mehrfach in Rühmkorfs Sammlung findet. Hier ein Beispiel:
    Ein Jäger aus Kurpfalz
    Hat seine Frau am Arsch geleckt
    Jetzt riecht er aus dem Hals
    Der Jäger aus Kurpfalz.
    Klar, dass die Sexualität besonders gern durch den Kakao gezogen wird. Wenn dann noch ein wenig Goethe hineinspielt, ist die Mischung wirkungsvoller:
    Wer reitet so spät auf Mutters Bauch
    Das ist der Vater mit seinem Schlauch
    Er hält sich an den Titten fest
    Dass es sich besser ficken lässt.
    »Der Erlkönig« der Goethe-Ballade reitet hier durch die Niederungen des Volkshumors. Es schadet dem Gedicht nicht, wenn jemand es auf diese Weise schon einmal in rudimentärer Form kennenlernt. Das Volk macht sich die Hochkultur zu eigen, indem es sie zu sich hinabzieht, sie verkürzt, veralbert und auf keinen Fall ernst, sondern lieber auf den Arm nimmt. Ein Verfahren, das schon viele Jahrhunderte alt und noch immer lebendig ist. Wer spielenden Kindern zuhört, Jugendliche im Bus belauscht, im Internet bestimmte Sites aufsucht, kann sich an immer neuen Verwurstungen und Ordinärversionen erfreuen. Allein dadurch entsteht Tag für Tag neues Material für das immer weiterwachsende Lexikon des Schimpfens und Fluchens.

    Besonders schön ist es, wenn sich Erwachsene ebenfalls an dessen Erweiterung beteiligen. Sie, liebe Leser, werden hoffentlich durch dieses Buch angeregt, wirkungsvoll, kreativ, eigenständig mit Tabuworten umzugehen, mit Flüchen, Kraftausdrücken. Deren positive Wirkung kann zwar nicht garantiert werden, denn falscher Fluch zur falschen Zeit bringt Unannehmlichkeit, doch grundsätzlich ist auch diese Wortschatzarbeit höchst lobenswert.
    Bleibt vielleicht noch die Frage nach meinem Lieblingsfluch. Der stammt aus der französischen Literatur, aus Alfred Jarrys (1873–1907) Drama »Ubu Rex« in der deutschen Übersetzung Heinz Schwarzingers. Vielleicht weil ich die Worte in einer tollen Inszenierung zuerst hörte? Es war in Stuttgart, anno 1987. Und mit diesen Schimpfworten empfehle ich mich meinen flucherfahrenen, fluchfreudigen, fluchfertigen Leserinnen und Lesern: »Schreiße!« (denn »Merde!«, »Scheiße«, reichte Jarry nicht, weshalb er »Merdre!« schrieb), »Hornzackwamme!«, und: »Bei meiner grasgrünen Kerzen!«
    PS Achten Sie bei neuen oder alten Kraftausdrücken auf den richtigen Ton und denken Sie an Mark Twains Frau. Sie fand die vielen Flüche ihres Mannes in Wort und Schrift fürchterlich und las sie ihm eines Tages von einer ausführlichen Liste vorwurfsvoll vor. Twain antwortete ungerührt: »Du kennst die Wörter, aber du sprichst sie falsch aus.«

Literaturverzeichnis
    Reinhold Aman: Bayerisch-österreichisches Schimpfwörterbuch. Lexikon der Schimpfwörter. Psychologisch-sprachliche Einführung in das Schimpfen. München 1975.
    Gunter Bergmann: Kleines sächsisches Wörterbuch. München 1987.
    Kai Brodersen: Briefe in die Unterwelt. Religiöse Kommunikation auf griechischen Fluchtafeln. In: Ders. (Hg.): Gebet und Fluch, Zeichen und Traum. Aspekte religiöser Kommunikation in der Antike. Münster 2001.
    Adam Jacot de Boinod: Tingo und andere verrückte Wörter aus aller Welt. München 2006.
    Gaius Valerius Catullus: Carmina. Gedichte. Hg. und übersetzt von Niklas Holzberg. Düsseldorf 2009.
    Marc Drogin: Anathema. Medieval scribes and the history of book curses. Totowa, Montclair 1983.
    Gerhard Fink: Schimpf und Schande. Eine vergnügliche Schimfwortkunde des Lateinischen. Zürich, München
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