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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe
Autoren: Katrin Tempel
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auf der Insel bin, suchen mich merkwürdige Träume oder Visionen heim. Dabei habe ich die Geschichte von diesem Thegan gesehen – wie in einer Art Kino. Hemma und Walahfrid mit seinem Garten sind auch vorgekommen, genau wie die Hebamme Bertrada, die dann wohl die Erste in diesem Hebammenclan war.«
    Simon zog eine Augenbraue nach oben. »Du bist dir sicher, dass du nicht irgendwas Komisches geraucht hast? Ich meine: Wer kann schon Dinge sehen, die vor zwölfhundert Jahren geschehen sind?«
    »Ich habe keine Erklärung dafür. Aber dein Gerede vom Fluch dieser Ambrosia ist nicht viel besser.«
    »Und egal, wie lange ihr euch jetzt darüber streitet, Ambrosia gibt es nicht mehr«, erklärte Christine. Mit einem Mal klang ihre Stimme müde, und ihre Hautfarbe war fahl geworden.
    »Geht es dir nicht gut?«, wollte ich wissen.
    Sie schüttelte den Kopf. »Wie ich schon gesagt habe: Ich sterbe. Im Gegensatz zu den meisten Menschen weiß ich auch, dass es ziemlich bald sein wird. Meine Ärzte haben gesagt, dass es höchstens noch zwei Wochen sind. Ich gebe sonst nicht viel auf die moderne Medizin, aber ich fürchte, dieses Mal haben sie ausnahmsweise mal recht.«
    Wir schwiegen. Tranken aus unseren Tassen und saßen in der herrlichen Vormittagssonne unter den Blättern der Bäume, deren Äste schützend über das Haus der Hebamme ragten. Gerade so, als wollte die Natur das Wissen dieses Ortes schützen. Wenn es denn wirklich magische Momente gibt, dann gehörten diese Minuten ganz bestimmt dazu.
    Es dauerte lange, bis Christine endlich weitersprach. »Ihr solltet jetzt gehen. Es ist alles besprochen, was es zu klären gab. Diese lange Geschichte hat jetzt ein Ende gefunden, und ich nehme sie mit in mein Grab. Vielleicht sollte es so sein, dass diese Pflanze verschwindet – jetzt, da bei allen riskanten Geburten der Kaiserschnitt eingesetzt wird. Es gibt keine Notwendigkeit mehr dafür – und so manche Pflanze taucht ja nur auf, weil es eine Sehnsucht nach ihrer Wirkung gibt.«
    Simon stand auf. »Wir wollen deine Gastfreundschaft nicht länger strapazieren, liebe Christine. Aber vielleicht möchtest du meine Entschuldigung für die Verfehlungen meiner Vorfahren annehmen. Wenn wir in den nächsten Tagen irgendetwas für dich tun können, dann melde dich bitte bei uns. Und vielleicht solltest du lieber zum Telefon greifen, als irgendwo ein Blümchen zu pflanzen, dessen Botschaft ich vielleicht nicht verstehe.«
    Christine zwang sich zu einem Lächeln, das sie sichtlich Mühe kostete. »Keine Sorge, das werde ich. Die Zeit für geheimnisvolle Nachrichten ist wirklich vorbei.« Sie sah uns beide an. »Und ich gebe euch meinen Segen. Ihr werdet gemeinsam ein glückliches Haus führen.«
    »Aber wir sind doch gar nicht …«, setzte ich an, doch Christine hob die Hand, um mich zum Schweigen zu bringen.
    »Ich habe von dieser Welt und ihren Bewohnern mehr gesehen als du. Ich kann sehen, wenn zwei Menschen zusammengehören.«
    Dann wedelte sie mit der Hand, als wollte sie uns verscheuchen. »Geht jetzt. Ich muss mich ausruhen. Ihr findet den Weg nach draußen sicher alleine.« Sie schloss die Augen, und einen winzigen Moment lang fürchtete ich, dass sie einfach gestorben sei. Aber dann sah ich, dass sich ihr Brustkorb weiter leise hob und senkte.
    Wir wählten dieses Mal den Weg durch den Garten, um wieder zu Simons Auto zu kommen. Simon sah die vielen Beete mit Bewunderung an. »Sie hat wirklich alles, was eine Hebamme benötigt, selber angebaut. Mir war nie klar, dass sie so einen großen Garten hat.«
    »Du warst wirklich nie hier?«, wunderte ich mich.
    »Nein. Meine Mutter hat mal gesagt, dass die Hebamme ein wenig merkwürdig sei. Ich habe mich aber nie gefragt, warum.«
    Schweigend stiegen wir ins Auto und machten uns auf den Weg. Simon fuhr zu sich nach Hause. Als er die Tür aufsperrte, sah ich ihn fragend an, und er machte eine einladende Handbewegung. »Komm herein. Ich denke, die Flüche der Vergangenheit haben wir jetzt endgültig abgestreift.«
    Ich betrat das Haus nur zögerlich. Erst jetzt war mir klar geworden, dass meine Eltern in ihren letzten Lebenstagen hier ein und aus gegangen waren. Konnte man noch ihre Stimmen hören, wenn man sich ganz still verhielt?
    Simon schien mir meine Zweifel und Gedanken anzusehen. Er lächelte mir zu und legte mir eine Hand auf den Rücken, um mich sanft ins Innere zu schieben. »Das hier ist das Haus, in dem du geboren wurdest. Du solltest dich also wie zu Hause
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