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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe
Autoren: Katrin Tempel
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auch das letzte Blättchen in ihrer Schürze landete. Dann verschwand sie, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Das Haus des Thegan sollte sie nie wieder betreten. Vom da an haben meine Vorfahrinnen bei Geburten die maurische Pflanze eingesetzt, die wir als unser rechtmäßiges Eigentum betrachteten.«
    »Und Thegan? Wie hat er auf diesen Raub reagiert?«, wollte ich wissen.
    »Das war kein Raub«, wies Christine mich zurecht. »Das war nur der rechtmäßige Lohn, den Bertrada eingefordert hat und den Thegan ihr mit einer Lüge verweigert hat. Ihr gegenüber hat er behauptet, er habe doch noch zwei weitere Samen in seiner Kammer gefunden, die er versuchsweise anbauen wollte. Ich bin mir sicher, dass es sich um eine weitere Lüge handelte. Er wollte, dass die Hebammen künftig bei ihm diesen Samen kaufen mussten. Das hat Bertrada vereitelt.«
    Simon schüttelte den Kopf. »Das ist doch ein Ammenmärchen. Ich habe von dieser Geschichte noch nie gehört, ein Thegan taucht in meinem Stammbaum nicht auf, soweit ich weiß – ich kann ihn allerdings auch nicht stolze zwölfhundert Jahre zurückverfolgen. Ehrlich gesagt habe ich so meine Zweifel, ob man das überhaupt kann. Und vor allem: Was sollen wir jetzt damit?«
    »Lasst das Kraut einfach im Hortulus. Ein Botaniker soll es bestimmen, und du, Simon, kannst dir im Herbst ein paar Samen holen und es künftig auch bei dir anbauen. Ich will es nicht mehr …«
    »Ich hoffe, dass du nicht deine gesamten Samen in den Hortulus gebracht hast«, fiel ich ihr ins Wort. »Da ist nämlich nichts mehr.«
    »Was?« Zum ersten Mal verlor Christine ihre Gelassenheit, die sie bisher so offensichtlich zur Schau gestellt hatte. »Wie meinst du das: Da ist nichts mehr?«
    Ich zuckte mit den Schultern und deutete auf Simon. »Er war der Meinung, dass dieses Kraut für Unglück sorgt. Also hat Simon es untergegraben. Da es offenbar sehr empfindlich ist, sollte ich davon ausgehen, dass es inzwischen nur noch eine Funktion als Gründünger hat. Du hast doch nicht etwa deine kompletten Samenbestände in ein Beet inmitten einer Touristenattraktion vergraben?«
    Doch ich konnte in ihrem Gesicht erkennen, dass genau das der Fall war. Christine hatte alles auf eine Karte gesetzt, im festen Glauben, dass sie damit zur Lösung eines Rätsels beigetragen hatte. Dabei war alles, was sie damit erreicht hatte, die Vernichtung eines alten Heilkrauts.
    »Das hast du nicht getan! Sag, dass du so etwas nie tun würdest?« Christine sah Simon immer noch fassungslos an.
    »Das Auftauchen dieser Pflanze in dem Beet zusammen mit der Rückkehr des Mädchens, das den tödlichen Unfall meiner Eltern überlebt hatte – das waren mir zu viele Zufälle. Ich habe tatsächlich an ein schlechtes Omen geglaubt und gedacht, ich könnte die Ursache mitsamt den Wurzeln ausreißen.«
    »Na, dann …« Christine brach ab und verbarg ihr Gesicht in den Händen. »Ich wollte das Geheimnis meiner Familie endlich bekannt machen und habe in Wirklichkeit dafür gesorgt, dass es für immer im Reich der Mythen und Legenden bleiben wird. Wie konnte ich nur so dumm sein?«
    Simon seufzte. »Ich möchte mich wirklich nicht herausreden. Es ist ja sonst auch nicht meine Art, dass ich irgendwelche Pflanzen wahllos niedertrampele. Aber dieses Zeug hat dafür gesorgt, dass unsere Familien seit über tausend Jahren ein schwieriges Verhältnis hatten. Das sollte doch genug Grund sein, dass man sie jetzt vielleicht mal auf den Kompost wirft.«
    »Sie hat auch Hunderten von Frauen das Leben gerettet. Unter anderem der Mutter von Lena – auch wenn sie dann vierzehn Tage später sterben musste«, murmelte Christine. »Und ich bin mir nicht sicher, dass sie den Biologen der heutigen Zeit überhaupt bekannt ist. Ich habe immer mal wieder nachgeforscht und sie nirgends entdeckt. Wer weiß schon, was dein Vorfahre damals wirklich aus dem Land der Mauren heimgebracht hat?«
    »Wenn es denn wirklich mein Vorfahr war. Dieser Teil der Geschichte gehört vielleicht doch in das Reich der Legenden, meinst du nicht?«
    »Ich glaube sogar, dass Thegan dir ähnlich gesehen hat – oder besser gesagt andersherum: Du siehst diesem Thegan so ähnlich wie ein Ei dem anderen.« Ich konnte mich nicht beherrschen, ich musste mein Wissen aus meinen Träumen einfach weitergeben. Im nächsten Moment verfluchte ich mich selbst deswegen. Denn natürlich fragten die beiden anderen gleich nach der Quelle meines Wissens.
    Ich konnte nur verlegen lächeln. »Seit ich hier
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