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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe
Autoren: Katrin Tempel
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in einem Auto, das offensichtlich gegen einen Baum gefahren ist. Meine Mutter saß am Steuer, das stimmt. Und wenn ich den Briefen und Tagebuchaufzeichnungen glauben darf, dann war meine Mutter vielleicht kein rundum sympathischer Mensch. Viel zu ehrgeizig, viel zu sehr auf ihre Karriere bedacht. Und doch hat sie die anderen drei sicher nicht gezwungen, zu ihr ins Auto zu steigen. Verstehst du, was ich meine? Sie wollten dem Rätsel auf die Spur kommen, und das ist keine Frage von Schuld oder Unschuld, sondern von Neugier. Und diese Neugier ist eine urmenschliche Eigenschaft. Mal ganz ehrlich: Willst du nicht wissen, was sie damals entdeckt haben? Warum sie unbedingt zu viert aufs Festland fahren wollten?«
    »Nein. Ich weiß es«, erklärte Simon schlicht.
    »Du weißt es?«
    »Ja. Irgendwann habe ich mir die Unfallberichte genauer angesehen. Absurderweise hat irgendjemand es für nötig befunden, eine genaue Liste aller Gegenstände zu erstellen, die sich in dem Auto befunden haben. Ein Unfall mit vier Todesopfern – das ist überall eine Sensation und führt zu Ermittlungen.«
    »Und was von dieser Liste hat dich auf die Lösung gebracht?«
    »Eine Pflanze. Zwei grüne Zweige in einem feuchten Zeitungspapier.«
    »Hör mal zu, deine Eltern hatten eine Gärtnerei, da sind ein paar Zweige in einem feuchten Papier keine große Überraschung, oder?« Ich fuhr mit meiner Hand über das Grab meiner Eltern. Eine unbewusste Geste, bevor ich aufstand, um Simon besser in die Augen sehen zu können.
    »So siehst du das. Ich glaube, sie hatten das Ambrosiakraut dabei, nach dem sie gesucht hatten. So wie du es jetzt auch finden wolltest.«
    »Was ist daran schlimm? Es ist nur eine Pflanze, Simon. Pflanzen bringen niemanden um. Was einen umbringt, ist ein unkonzentrierter Moment beim Autofahren – vor allem dann, wenn man erst zwei Wochen vorher ein Kind bekommen hat und mit seinen Hormonen und Kräften noch nicht auf der Höhe ist. Selbst wenn es wirklich Ambrosia gewesen sein sollte, was sie da im Auto hatten, dann hat sie das ganz sicher nicht umgebracht.« Mir fiel wieder die Pflanze ein, die ich im Hortulus gesehen hatte und die über Nacht wieder verschwunden war. Ich hatte die wenigen verbliebenen Blättchen ebenfalls in ein feuchtes Tuch gewickelt – und das lag wahrscheinlich immer noch auf der Terrasse meiner Eltern. Beziehungsweise der Leute, die ich Eltern nannte.
    »Du warst es«, sagte ich und starrte Simon an. »Du hast das Beet im Hortulus untergegraben, damit niemand die Ambrosia entdeckt. Aber wer hat es gepflanzt?«
    Er leugnete nicht, sondern erwiderte: »Ach, ich bin mir nicht einmal sicher, dass es wirklich das gleiche Kraut ist, das unsere Eltern damals im Kofferraum hatten. Aber ich wollte nicht, dass …« Er brach mitten im Satz ab.
    »Du wolltest nicht, dass ich das Geheimnis aufdecke – vorausgesetzt, es ist nicht nur irgendein Unkraut, das wir in der Schnelle nicht zuordnen konnten. Das ist der Grund, warum ich nur noch dieses durchgeackerte Beet gefunden habe?«
    Fast verlegen hob Simon seine Schultern. »Mir ist erst in dieser Nacht klar geworden, wer du bist. Lena ist ein häufiger Vorname, ich habe mir nie bewusst gemacht, dass du natürlich einen anderen Nachnamen haben musst als deine Eltern. Und dann wusste ich es plötzlich: Du bist das kleine Mädchen, das damals diesen Unfall überlebt hat. Und du suchst nach diesem Kraut mit derselben Verbissenheit wie deine Mutter. Ich wollte das stoppen. Irgendwie habe ich mir vorgestellt, dass sich alles ständig wiederholt – und das wollte ich nicht. Dafür mag ich dich viel zu gern …« Verlegen spielte er mit einer seiner schwarzen Locken. »Das klingt doof, ich weiß.«
    »Das mit dem Mögen?«, fragte ich nach. »Nein, das klingt nicht doof. Aber ›Ich will dich hier nicht mehr sehen!‹ ist der falsche Satz, um jemandem seine Gefühle zu offenbaren. Was mich allerdings am meisten interessiert, ist, wer dieses Zeug denn eigentlich in den Hortulus gepflanzt hat.«
    Nachdenklich sah Simon vor sich hin. Wenn er so ernst wirkte, war die Ähnlichkeit zu seiner Mutter – und dem Adeligen aus meinen Träumen – noch auffälliger. Wobei ich Thegan wohl besser schnell vergaß. Man sollte seine Hirngespinste nicht zu ernst nehmen, das hatte ich Simon jetzt lange genug gepredigt.
    »Also?« Ich sah ihn an. »Hast du irgendeine Theorie, in der nach Möglichkeit keine Flüche oder etwas Ähnliches vorkommen sollten?«
    »Christine. Meine
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