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Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Titel: Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
Autoren: Jorge González
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breiten Grinsen: »Oh, wie cool, jetzt machen wir eine Sinéad O’Connor aus dir.«
    Als alle Haare abrasiert waren, habe ich ihr ein bisschen Lippenstift aufgetragen, Ohrringe angelegt und den Spiegel geholt.
    »O Mama, du siehst toll aus. Das passt so«, sagte ich und reichte ihr den Spiegel.
    Sie schaute sich lange schweigend an. Dann strich sie sich mit den Händen über den Kopf, lächelte und sagte leise: » Dios mío , mein Gott, ich sehe aus wie ein Dinosaurier.«
    »Na ja, auch ein Dinosaurier hat seine Schönheit«, motivierte ich sie. »Mama, ich finde dich schön. Dein Gesicht sieht so jung aus, und du strahlst so.«
    Weil sie nicht wollte, dass der Rest der Familie sie ohne Haare sah, machte sie sich von da ab immer einen Turban, und von meiner nächsten Reise nach Deutschland brachte ich ihr eine Perücke mit.
    »Du siehst toll aus ohne Haare«, sagte ich ihr, als sie mit den neuen Haaren aus dem Badezimmer kam, denn meine Mutter hatte ein wunderschönes Gesicht. »Aber mit Perücke siehst du aus wie Shirley MacLaine.«
    Wenn ich heute Fotos aus der Zeit anschaue, kann ich trotz der Spuren der Krankheit ihren Glam erkennen. Meine Mutter war immer sehr feminin und hatte eine sehr elegante Haltung mit fließenden Bewegungen. Selbst als es ihr so schlecht ging, strahlte sie noch immer von innen heraus. Aber der Krebs und die Chemotherapie zehrten an ihren Kräften. Sie war schwach und dünn geworden und sah oft sehr müde aus.
    Nach einer der nächsten Chemos bat sie mich auf einmal um ihre Handtasche.
    »Warum brauchst du die denn jetzt«, fragte ich.
    »Gib mir mein Schminktäschchen mit dem Puder und dem Lippenstift. Ich will mich schön machen. Dein Vater soll mich nicht so sehen.«
    Dann stand sie auf, als hätte sie nicht gerade eine Chemo bekommen, sondern als wäre sie zu Hause und würde gleich mit ihrem Mann ausgehen.
    Ich schaute sie an und dachte: Mein Gott, wie diese Frau kämpft. Woher nimmt sie nur die Kraft? Ich denke, sie wollte uns zeigen, dass sie mit der Krankheit umgehen konnte. Sie wollte uns sagen: »Ich will leben und bin bereit, zu kämpfen.« Deshalb habe ich die ganze Zeit nie vor meiner Mutter geweint und nicht einen Moment der Schwäche gezeigt. Ich habe Späße gemacht, war stark, auch wenn ich im Inneren halb tot vor Sorge war.
    In dieser Zeit der Krankheit erlebten wir viele traurige, aber auch viele schöne Momente. Denn nach einem Chemotherapie-Zyklus ging es Mama immer eine Weile besser. Dann reisten wir in Kuba herum, und ich brachte sie an alle Orte, wo sie gern hinwollte. An ihrem zweiundsiebzigsten Geburtstag habe ich einen Bus gemietet und alle Verwandten und Freunde – über hundertfünfzig Leute – nach Jatibonico eingeladen, um mit meiner Mutter zu feiern. An diesem Tag haben wir sogar vergessen, dass sie gerade die x-te Chemo hinter sich hatte. Alle wollten einfach nur feiern und fröhlich sein. Zwei ihrer Schwestern, die richtige Entertainer sind, hatten sich als Männer verkleidet: mit Anzug, Sonnenbrille, Hut und coolem Blick, wie kubanische Machos eben. Aus dem Hosenschlitz schauten Plastikschamhaare heraus … Sie liefen breitbeinig um meine Mutter rum und riefen mit tiefer Stimme: » Venga , komm, mi cariño , meine Süüüüße. Du bist meine Liebste, mi amor . Ich liebe dich.« Meine Mutter konnte sich fast nicht halten vor Lachen.
    Eine andere Schwester hatte bunte Torten gebacken und Papierhüte mitgebracht – alles sah aus wie auf einem Kindergeburtstag. Wir haben gelacht, getanzt und gesungen. In der Nacht schliefen meine Mutter und ihre fünf Schwestern alle in einem Bett, so wie sie es als junge Mädchen gemacht hatten. Bis morgens konnten wir sie kichern hören. Ich habe dieses Fest sehr genossen. Wenn du so viel Leid in dir trägst, vergisst du das zwar nicht, aber es tut gut, Menschen um dich zu haben, die du liebst und die dich lieben. Und weil meine Mutter so glücklich war, wenn sie ihre Schwestern um sich hatte, holte ich die Tanten einmal pro Woche in Cabaiguán ab und brachte sie nach Jatibonico. Das war für Mama immer die beste Medizin.
    Drei Jahre dauerte die Krankheit meiner Mutter. In dieser Zeit pendelte ich ständig zwischen Kuba und Hamburg hin und her. Ein paar Wochen hier, ein paar Wochen dort. Das kam immer ganz darauf an, wie sie sich zwischen den Chemotherapien fühlte.
    Mein Partner unterstützte mich in dieser Zeit voll und ganz und kümmerte sich um unsere Agentur. Das ist auch ein Luxus, einen Menschen zu haben, der
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