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Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Titel: Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
Autoren: Iain Levison
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zusteigen, hinterlassen den Namen des Taxifahrers auf einem Anrufbeantworter. Keiner vertraut keinem mehr. War das überhaupt je anders?
    Ich stoße einen unterdrückten Fluch aus, als mich die nächste rote Ampel zu einem etwas härteren Bremsen zwingt. Ich vernehme ein Aufschlagen, offenbar ist Kelly vom schwarzen Kunststoffsitz auf den Boden gefallen.
    »Tut leid«, sage ich. Mein Gott, ist immerhin eine Gratisfahrt. Ansprüche sind da nicht drin. Hoffentlich keine gebrochene Nase, dann müsste ich mit einer Anzeige rechnen und zugeben, dass ich die beiden entgegen den Vorschriften kostenlos mitgenommen habe. Das Ganze würde mit meiner Entlassung enden. Vielleicht hätte ich mir das überlegen sollen, bevor ich mich gegenüber zwei schwer besoffenen Mädels zum edlen Ritter der Nacht aufschwingen musste.
    »Ach du liebe Scheiße«, heult das Mädchen am Handy jetzt auf. Ihre Stimme hört sich so panisch an, dass ich ranfahre und stehenbleibe.
    »Was ist los?«, frage ich mit Blick über meine Schulter durch die zerkratzte, kugelsichere Plexiglasscheibe. Sofort wird mir klar, was passiert ist. Kelly ist auf dem Boden und gibt Geräusche von sich, die ich eigentlich nur aus einschlägigen TV-Dokus kenne, wenn ein Wildtier von einer Löwin zerrissen wird. Der Geruch von frischer Kotze sickert durch die Löcher der Trennwand. Wiederholt bäumt Kelly sich auf, jedes Mal begleitet vom Geräusch zu Boden klatschender Flüssigkeit.
    »Das tut mir ja so schrecklich leid«, sagt das andere Mädchen immer wieder, wie ein Mantra. Dabei ist die Sache so schlimm auch wieder nicht. Ich fahre seit elf Jahren Taxi, da lernst du den einen oder anderen Trick. Erst vor einigen Tagen hab ich Plastikmatten gekauft, um den abgewetzten Teppich abzudecken, und der Rücksitz ist aus glattem Vinyl. Im Umgang mit der Öffentlichkeit ist es stets von Vorteil, wenn du jeden Quadratzentimeter, den die Leute berühren könnten, mit einem Schlauch abspritzen kannst. Vom pflegeleichten Plastik der Rücksitze hab ich schon alle möglichen Körperflüssigkeiten weggespritzt, bis hin zum Ohrenschmalz. Vor ein paar Wochen hatte ich einen Geschäftsmann auf dem Rücksitz, Typ netter älterer Herr, den ich beobachtete, wie er mit einem Ding in seinem Ohr herumstocherte und seine Beute an meinem Sitz abwischte.
    Vor dem Studentenheim halte ich an. Ich hol von unter dem Fahrersitz ein paar Lappen hervor – noch so ein alter Taxilenkertrick. Wenn du’s mit der Öffentlichkeit zu tun hast, sieh zu, dass du immer genug Lappen griffbereit hast. Ich öffne die Tür und schaffe es, Kelly auf die Beine zu stellen, ohne mich mit Erbrochenem zu beschmutzen. Das andere Mädchen, das seinerseits nicht weit davon entfernt ist, Tierlaute auszustoßen, stolpert auf die andere Wagenseite herüber. »Tut mir echt leid«, murmelt sie immer und immer wieder, während ich ihr Kelly übergebe.
    »Ist halb so schlimm.« Ich steck mir eine Zigarette an, teilweise um den Gestank abzutöten, zum Teil aus Gewohnheit. So gut wie jedes Mal, wenn ich aus dem Taxi aussteige, steck ich mir eine Zigarette an. »Ihr kennt den Weg?«
    Die Mädchen deuten in Richtung des Heimportals, das gut beleuchtet ist. In der Lobby ist ein Security-Mann zu sehen.
    »Na, dann eine gute Nacht noch.« Die beiden torkeln zum Eingang.
    Ich rauche meine Zigarette fertig, steig in den Wagen und fahre zur Garage runter. Nachdem ich das Erbrochene mit einem Schlauch in einen Kanal gespritzt habe, gönne ich dem Rücksitz ein paar Durchgänge mit dem neuen Dampfreiniger. So wirst du üble Gerüche am sichersten wieder los.
    Wenn ich aus der Sache was gelernt habe, dann dieses: Geh niemals mit dem Dampfreiniger übers Auto, nachdem du die Fenster fremder Leute berührt hast!
    Ich geb meine Rechnungen im Büro ab, wortlos macht Denise mir die Abrechnung. Nach Abgaben und Steuern bleiben mir einhundertsechzehn Dollar. Nicht gerade großartig für einen Achtzehnstundentag, aber auch nicht schlecht für einen Dienstag.
    Wie immer gehe ich die zwei Meilen zu Fuß nach Hause, um meinen Beinen ein wenig Durchblutung zu verschaffen, bevor ich mich schlafen lege. Meine Woche beginnt freitags und endet dienstags, das heißt, ich hab jetzt zwei Tage frei, und während meines gesamten Heimwegs entlang zerrissener Maschendrahtzäune und über verlassene Grundstücke denke ich daran, wie gut es sich anfühlt, wieder eine Woche hinter sich gebracht, wieder sieben Tage überstanden zu haben.
     
    Am nächsten Tag ist heller
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