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Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Titel: Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
Autoren: Iain Levison
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nennt, will sie mich in Wahrheit als Weißen bezeichnen. Ihr gefällt das. Wenn wir frei wählen können, haben wir dann nicht lieber Leute um uns, die uns möglichst ähnlich sind? Ich lasse meine Karte durch den Geldschlitz in der Plexiglastrennwand fallen, und sie nimmt sie an sich. Gelegenheiten muss man nützen.
    Wir fahren längere Zeit, ohne ein Wort zu wechseln, ich fahre von der Autobahn ab und weiter Richtung Westboro. Keine Fabriken mehr, keine Bohrtürme oder Pipelines. Schluss mit dem Lärm von Sattelschleppern, Eisenbahnen und Flugzeugen. Wenige Häuserblocks nach der Ausfahrt gibt es nichts mehr außer der Stille baumgesäumter Straßen. Langsam fahre ich an einem im Schatten einer Ulme vor einem Café sitzenden Paar vorbei. Gleich darauf passieren wir einen öffentlichen Park, wo sich Kinder auf Schaukeln vergnügen. Nach dem Park werden die Häuser merkbar mächtiger, mit größeren Abständen dazwischen. Die Hauszufahrten sind jetzt länger und die darin geparkten Autos durchwegs groß und von glänzender Noblesse.
    »Bis zum dritten Haus«, sagt sie. »Sie können vor die Haustür fahren.«
    Der Garten vor ihrem Haus hat die Größe eines Football-Feldes, an den beiden Enden der hufeisenförmigen Zufahrt steht je eine gepflegte Eiche. Ich fahre vor das Eingangstor, da stößt mein Fahrgast mit Blick auf den am Taxameter angezeigten Preis von fünfundachtzig Dollar einen Fluch aus.
    »Verflixt«, sagt sie, in ihrer Geldbörse kramend. »Ich hab nur fünfzig dabei. Kommen Sie doch einen Augenblick rein, ich hol mir noch schnell Bargeld von oben.«
    »Danke. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gern Ihre Toilette benützen.« Seit mindestens fünf Stunden sitz ich ohne Unterbrechung in diesem verdammten Wagen, krieg schon ganz taube Beine. Ich hab eine Milchflasche unter dem Beifahrersitz, in die ich während der Schicht reinpissen kann. Mein kleines, feines Geheimnis, das die zahlenden Fahrgäste nicht zu wissen brauchen. Dient aber nur für Notfälle. Wenn sich eine Gelegenheit ergibt, die Milchflasche zu vermeiden, nutz ich sie.
    Meine ersten zwei oder drei Schritte nach dem Aussteigen sind noch wackelig, bis sich die Muskeln wieder belebt haben. Ich biete an, ihr Gepäck zu tragen, doch sie winkt ab, holt ihre Schlüssel raus und öffnet die Tür. Als ich eintrete, werde ich von einem Schwall kühler Aircondition-Luft mit dem frischen, sauberen Duft von Ahornholz empfangen.
    »Das Badezimmer ist gleich hier«, sagt sie und zeigt auf eine Tür neben der Küche. Sie geht die teppichbelegte Wendeltreppe hoch. »Bin gleich zurück.«
    Ich gehe ins Badezimmer und genieße die kühle Luft und die Stille dieser opulenten Villa. Was für ein Gegensatz zum ewig dröhnenden Lärm und zur Hitze im Taxi. Ich betrachte mich im Spiegel. Übernächtigt und müde sehe ich aus, die Bartstoppeln sind einen Tag alt. Ich hätte einen wie mich jedenfalls nicht ins Haus gelassen. Nachdem ich die Toilette benutzt habe, wasche ich mir die Hände und bespritze mein Gesicht mit Wasser. Jetzt sehe ich müde und nass aus. Wenigstens ist morgen mein freier Tag.
    Ich spüle die Toilette, und als ich ins Foyer zurückkomme, ist sie noch immer nicht mit dem Geld zurück. Ich kann hören, wie sie oben mit jemandem telefoniert, diesmal nicht mit der sanften Stimme ihrer Taxi-Konversation. Ihre Stimme ist hoch, angespannt, aggressiv. Jemand hat sie geärgert. Ich höre, wie sie unmittelbar über mir im Zimmer auf und ab geht, beinahe schreiend.
    Ich sehe mich im Erdgeschoss um. Eine Küche mit den Abmessungen meiner Wohnung, in deren Mitte eine mächtige Kochinsel thront, wird durch ein Panoramafenster mit Blick auf den endlos erscheinenden Garten mit Licht geflutet. Ich sehe eine Veranda, die komfortabler und teurer möbliert ist als mein Wohnzimmer. Zu meiner Rechten, hinter dem Treppenaufgang, befindet sich ein Kinderzimmer, dessen Boden mit Spielzeug übersät ist. Ich betrete das Zimmer, vorsichtig den Spielsachen ausweichend, und bemerke, dass die Fenster an der Oberseite einen auffälligen blauen Streifen aufweisen.
    Vor zwölf Jahren, bevor ich den Job beim Taxiunternehmen bekam, hatte ich als Fenstermonteur für die Firma Pierson Home Improvement gearbeitet, und dieses Fenster hier ist eines ihrer Produkte. Alle ihre Fenster haben diesen kleinen blauen Streifen. Ich erinnere mich, dass Paul Pierson, der Eigentümer, die Fensterbank an der Innenseite jedes Mal mit einem winzigen »PP« markierte, wenn er mit einer
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