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Hoellenprinz

Hoellenprinz

Titel: Hoellenprinz
Autoren: Zara Kavka
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hatte Ela nicht zugehört. » Wer kann dich nicht leiden?«
    Â»Na Oma natürlich.«
    Â»Ach, Blödsinn. Du bist ihre Tochter. Aber sie kennt dich eben nicht mehr richtig. Sie ist krank.«
    Â»Sie flippt wieder aus, weil sie sich nicht an ihr Lieblingskleid erinnern kann. Und auf mich hört sie nicht.«
    Ela horchte auf. Oma konnte sich nicht erinnern. Sie war krank und ihr Leben bestand hauptsächlich aus Lücken und Filmrissen. Nicht nur ein Abend, wie bei Ela. In diesem Moment empfand sie unendliches Mitleid für ihre Großmutter.
    Â»Ich komme mit runter.«
    Ela hörte die Großmutter schon auf der Treppe weinen. Schnell nahm sie die letzten Stufen und öffnete die Tür zur unteren Wohnung. Ihre Großmutter stand orientierungslos im Flur. Mit zwei Schritten war Ela bei ihr.
    Â»Oma, komm, alles ist gut, wir gehen in dein Schlafzimmer, ja?«
    Â»Lassen Sie mich in Ruhe. Wer sind Sie? Haben Sie mein Kleid gestohlen?« Sie stieß Ela weg.
    Â»Oma, nein, ich habe dein Kleid nicht gestohlen. Komm, du setzt dich auf dein Bett und dann schauen wir gemeinsam deinen Kleiderschrank durch.« Ela streckte ihrer Großmutter die Hand entgegen und erkannte in ihrem Gesichtsausdruck, dass sie versuchte, den Vorschlag einzuordnen. Wie anstrengend musste es sein, jedes Mal aufs Neue abzuwägen, ob man jemandem trauen konnte oder nicht. Zunächst wehrte sie sich noch, scheuchte die hingestreckte Hand weg, doch Ela hielt sie geduldig immer wieder hin, bis sich Großmutter schließlich ins Schlafzimmer führen ließ und sich auf die Bettkante setzte. Ela schaute den Kleiderschrank durch und holte zwei Kleider heraus.
    Â»Schau mal. Das rote mit den gelben Blumen oder das blaue mit den Karos? Welches magst du lieber?«
    Großmutter saß lange da und betrachtete die beiden Kleider. Ela sah ihr an, wie sie sich bemühte, die Erinnerung an ihr Kleid zu finden, irgendwo in ihrem Bewusstsein. Sie tat ihr so leid.
    Â»War es nicht das rote?«, half sie ihr. »Das ziehst du doch immer an deinen Geburtstagen an, oder?«
    Jetzt lächelte Oma und nickte.
    Â»Ja, das rote.« Damit war die Frage beantwortet und Tante Waltraud durfte ihr mit Ela zusammen ins Kleid helfen. Ela legte ihrer Großmutter auch noch eine ihrer Lieblingsketten an. Ihre Kettensammlung hing an der Innenseite ihrer linken Schranktür. Sie war riesig. Schon als kleines Kind hatte Ela es geliebt, mit den Händen durch die Ketten zu fahren und dem unverkennbaren Geräusch der Perlen, Holzkugeln, Gold- und Silberanhänger zu lauschen. Am liebsten würde sie das heute für den Rest des Tages tun.
    Â»Und jetzt möchte ich tanzen gehen!«, verkündete Großmutter und ging schnurstracks auf ihre Wohnungstür zu. Tante Waltraud schaute Ela fragend an.
    Â»Geh einfach mit ihr raus. Wahrscheinlich vergisst sie ihren Tanzwunsch wieder«, sagte Ela und strich erneut über die Kettensammlung.
    Als die beiden weg waren, erinnerte sich Ela an die Bücher, die ihre Großmutter sich zu Beginn ihrer Alzheimerkrankheit gekauft hatte. Sie ging ins Wohnzimmer und suchte im Regal nach einem Titel, der ihr helfen könnte. Einer klang vielversprechend: »Gedächtnistraining. Wie schütze ich meine Erinnerungen.« Sie nahm das Buch mit in ihr Zimmer und legte sich aufs Bett. Gleich beim Inhaltsverzeichnis erkannte sie, dass es sie kaum einen Schritt weiterbringen würde. Vorschläge, wie Tagebuch schreiben oder Fotos gut beschriften und chronologisch einordnen, zeigten ihr, dass das Buch für Menschen geschrieben war, die krankheitsbedingt ihr Gedächtnis verloren und nicht für Teenager, die es weggesoffen hatten.
    Ein einziges Kapitel hörte sich gut an: »Was tun, wenn Lücken entstehen«. Sie schlug es auf und begann zu lesen. »Nutzen Sie alle Sinne, wenn Sie Vergessenes zurückgewinnen wollen.« Der Tanz war das Letzte, an das Ela sich erinnerte. Sie schloss die Augen und versuchte, alle Sinne abzurufen: den Geruch des Lagerfeuers, die Musik aus dem Gettoblaster, Mirkos Hand auf ihrem Rücken …
    Er riecht gut. Nach Parfüm, nichts Billiges. Er ist einfach da, plötzlich, aus dem Nichts aufgetaucht – nur für mich. Mirko. Seine schwarzen Locken, die auffällig roten Wangen und die Grübchen, wenn er lächelt, all das ist so warm, so schön. Sein Griff um meine Taille ist fest, seine Locken kitzeln in meiner Nase.
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