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Hoellenpforte

Hoellenpforte

Titel: Hoellenpforte
Autoren: Anthony Horowitz
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zusammennähen? Allein der Gedanke ließ sie schaudern. Aber dazu war es nicht gekommen und sie lebte mit ihren Eltern in einer ruhigen Straße in der Nähe des Bahnhofs North-Dulwich, von dem es bis zu ihrer Schule nur fünfzehn Minuten Fußweg waren. Ihr Vater Paul Adams war auf internationales Firmenrecht spezialisiert. Ihre Mutter Vanessa hatte ein Reisebüro und organisierte Reisen nach China und andere Länder im Fernen Osten. Die beiden waren so beschäftigt, dass sie kaum Zeit für Scarlett hatten – oder füreinander. Seit Scarlett fünf war, hatten sie deshalb eine Haushälterin, die sich um alles kümmerte. Christina Murdoch war klein und dunkelhaarig und hatte nicht den geringsten Sinn für Humor. Sie war aus Glasgow nach London gekommen und ihr Vater war Vikar. Davon abgesehen wusste Scarlett kaum etwas über sie. Die beiden kamen zwar ganz gut miteinander aus, aber ohne es laut auszusprechen, waren sie längst übereingekommen, dass sie nie Freundinnen sein würden.
    Einer der Vorteile des Lebens in Dulwich war, dass Scarlett viele Freunde hatte, die alle in der Nachbarschaft lebten. Zwei Mädchen aus ihrer Klasse wohnten sogar in derselben Straße und ein Junge – Aidan Ravitch – nur fünf Minuten entfernt. Es war Aidan, wegen dem sie auf die Straße gelaufen war. Aidan besuchte nun schon das zweite Jahr The Hall, eine andere Privatschule in Dulwich. Er war aus Los Angeles nach London gekommen, war groß für sein Alter und sah mit seinen struppigen Haaren und der leicht schlaffen Haltung auf eine entspannte Weise gut aus. Er trug tagein, tagaus dasselbe Kapuzenshirt, dieselben Jeans und Turnschuhe. Aidan konnte die Engländer nicht verstehen. Er behauptete, Dinge wie Fußball, die Teestunde und Dr Who nicht zu kapieren. Aber vor allem die englischen Polizisten hatten es ihm angetan. »Warum müssen die diese dämlichen Hüte tragen?« Er war Scarletts bester Freund, obwohl sie beide wussten, dass sein Vater, der für eine amerikanische Bank arbeitete, jederzeit wieder nach Hause geschickt werden konnte. Aber bis es so weit war, verbrachten sie so viel Zeit miteinander, wie sie konnten.
    Der Unfall passierte an einem warmen Sommernachmittag.
    Scarlett war zu dieser Zeit dreizehn.
    Es war kurz nach vier und Scarlett war auf dem Heimweg von der Schule. Allein die Tatsache, dass sie ohne Begleitung nach Hause gehen durfte, bedeutete ihr sehr viel. Ihre Eltern hatten erst an ihrem letzten Geburtstag endlich nachgegeben. Bis dahin hatten sie darauf bestanden, dass Mrs Murdoch sie jeden Tag am Schultor abholte, obwohl es viel jüngere Mädchen gab, die den Gefahren der Dulwich High Street ganz allein und ohne bewaffnete Eskorte trotzen durften. Scarlett hatte nie begriffen, wieso ihre Eltern so besorgt waren. Sie konnte sich nicht verlaufen. Ihr Weg führte vorbei an einem Blumengeschäft, einem Bioladen und einer Kneipe, wo sie möglicherweise ein paar alte Männer sehen konnte, die mit ihrer Mischung aus Bier und Limonade in der Sonne saßen. In der unmittelbaren Nachbarschaft gab es keine Drogenhändler, keine Kindesentführer und keine Axtmörder. Außerdem war es ja nicht so, als wäre sie allein auf weiter Flur gewesen. Von halb vier an waren die Straßen voller Mädchen und Jungen, die auf dem Weg nach Hause in
    alle Richtungen unterwegs waren.
    Sie war an einer Ampel angekommen, wo fünf Straßen aufeinandertrafen, als sie Aidan entdeckte. Er war allein und hörte Musik. Sie konnte die weißen Kabel sehen, die von seinen Ohren herunterhingen. Er sah sie, lächelte und rief ihren Namen.
    Ohne nachzudenken, lief sie auf ihn zu.
    Der Fahrer des Lieferwagens war ein fünfundzwanzigjähriger Kurierfahrer namens Michael Logue. Die Polizei würde später seine Personalien aufnehmen. Er transportierte Ersatzteile für eine Nähmaschinenfabrik in Bickley und hatte es dem Londoner Verkehr zu verdanken, dass er schon jetzt Verspätung hatte. Er war ganz sicher zu schnell, als er auf die Kreuzung zufuhr, aber andererseits war die Ampel eindeutig grün.
    Scarlett war schon mitten auf der Straße, als sie ihn sah, und da war es viel zu spät. Sie sah, wie Aidan erschrocken die Augen aufriss, und drehte erst da den Kopf, weil sie wissen wollte, was er gesehen hatte. Sie erstarrte. Der Lieferwagen war schon fast über ihr. Sie konnte den Fahrer sehen, der sie über das Lenkrad hinweg anstarrte, voller Entsetzen, weil er genau wusste, was gleich passieren würde, und nichts dagegen tun konnte. Der Lieferwagen
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