Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Höllenflut

Höllenflut

Titel: Höllenflut
Autoren: Clive Cussler
Vom Netzwerk:
Altere.
Die Leichen waren fortgeschleppt worden und auf
Nimmerwiedersehen verschwunden. Ling Tai hatte den
Eindruck, daß man sie kurzerhand ins Meer geworfen hatte, wie
Abfall.
    Am Tag bevor die Indigo Star die Nordwestküste der
Vereinigten Staaten erreichen sollte, hatte ein Trupp
Wachmänner - Aufseher nannten sie sich, und sie verbreiteten
ständig Angst und Schrecken an Bord des Schiffes - etwa
dreißig, vierzig Passagiere zusammengetrieben und sie ohne
jede Erklärung einem Verhör unterworfen. Als sie an der Reihe
gewesen war, hatte man sie in ein kleines dunkles Kabuff
geführt und ihr befohlen, auf einem Stuhl vor einem Tisch Platz
zu nehmen, an dem vier Aufseher der Schlepperorganisation
saßen. Dann unterzog man Ling einer eingehenden Befragung.
    »Name!« herrschte sie ein schlanker Mann an, der einen
eleganten grauen Nadelstreifenanzug trug. Sein glattes braunes
Gesicht wirkte intelligent, war aber völlig ausdruckslos. Die
anderen drei Aufseher saßen schweigend da und musterten sie
mit bösartigem Blick. Das klassische Einschüchterungsmanöver
beim Verhör, dachte sie.
    »Ich heiße Ling Tai.«
»In welcher Provinz bist du geboren?«
»Jiangsu.«
»Hast du dort gewohnt?«
    »Bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr, als ich mit der
Ausbildung fertig wurde. Dann bin ich als Lehrerin nach Kanton
gegangen.«
    Kühl und leidenschaftslos kamen die Fragen, ohne jede
Schärfe. »Warum willst du in die Vereinigten Staaten.«
»Ich wußte, daß die Überfahrt äußerst gefährlich werden
würde. Aber die Verlockung war zu groß, denn dort winkt mir
ein besseres Leben«, antwortete Ling Tai. »Deshalb habe ich
beschlossen, meine Familie zu verlassen und Amerikanerin zu
werden.«
»Woher hast du das Geld für die Überfahrt?«
»Den Großteil habe ich in den letzten zehn Jahren von
meinem Lehrerinnengehalt gespart. Den Rest habe ich mir von
meinem Vater geborgt.«
»Was ist er von Beruf?«
»Er ist Professor für Chemie an der Universität Peking.«
»Hast du Freunde oder Verwandte in den Vereinigten
Staaten?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kenne dort niemanden.«
Der schmächtige Mann schaute sie lange und nachdenklich
an, dann deutete er mit dem Finger auf sie. »Du bist eine
Spionin. Du sollst unsere Organisation auskundschaften.«
Der Vorwurf kam so unverhofft, daß sie einen Moment wie
erstarrt dasaß. »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, stammelte sie
schließlich. »Ich bin Lehrerin. Wieso bezeichnen Sie mich als
Spionin?«
»Du siehst nicht so aus, als wärst du in China geboren.«
»Das stimmt nicht!« rief sie erschrocken. »Meine Mutter und
mein Vater sind Chinesen. Und meine Großeltern auch.«
»Dann erklär mir mal, warum du mindestens zehn Zentimeter
größer bist als die Durchschnittschinesin und woher dieser leicht
europäische Einschlag in deinem Gesicht stammt.«
»Wer sind Sie eigentlich?« herrschte sie ihn an. »Weshalb
sind Sie so grausam?«
«Nicht, daß es darauf ankäme, aber ich heiße Ki Wong. Ich
bin Chefaufseher auf der Indigo Star. Und jetzt beantworte bitte
meine Frage.«
Ling tat erschrocken und erklärte, daß ihr Urgroßvater ein
holländischer Missionar gewesen sei, der in Longyan eine
Missionsstation geleitet und eine Einheimische zur Frau
genommen habe. »Das ist das einzige westliche Blut, das in
meinen Adern fließt. Ich schwöre es.«
Ihr Gegenüber tat ungläubig. »Du lügst.«
»Bitte, Sie müssen mir glauben!«
»Kannst du Englisch?«
»Ich kenne nur ein paar Wörter und Ausdrücke.«
Dann kam Wong zum eigentlichen Thema. »Laut unseren
Unterlagen hast du für die Überfahrt nicht genug bezahlt. Du
schuldest uns noch zehntausend amerikanische Dollar.«
Ling Tai sprang auf. »Aber ich habe kein Geld mehr!« rief
sie.
Wong zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Dann wirst du
nach China zurückgebracht.«
»Nein, bitte nicht. Ich kann nicht zurück, nicht jetzt!« Sie rang
die Hände, bis ihre Knöchel weiß anliefen.
Der Oberaufseher warf den drei anderen Männern, die reglos
dasaßen, einen süffisanten Blick zu. Dann schlug er einen
anderen Ton an. »Es gäbe da noch eine Möglichkeit, wie du in
die Vereinigten Staaten gelangen könntest.«
»Ich werde alles tun«, flehte Ling Tai.
»Wenn du an Land gebracht wirst, mußt du die ausstehenden
Reisekosten abdienen. Eine Anstellung als Lehrerin wirst du auf
keinen Fall finden, weil du kaum Englisch kannst. Und da du
weder Freunde noch Familie hast, wirst du auch keinerlei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher