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Hoellenengel

Hoellenengel

Titel: Hoellenengel
Autoren: Thráinn Bertelsson
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Kinder.«
  
     
    »Leider scheint es so, dass man Verbrechen nicht ausrotten
kann«, sagte Randver. »So ist die menschliche Natur
halt.«
    Er hatte den Satz kaum beendet, als Edda ihn scharf anblickte und
langsam und deutlich sagte: »Ich habe nicht davon gesprochen,
Verbrechen auszurotten oder die Natur der Menschen zu ändern.
Das erwarte ich nicht. Ich erwarte von der Gesellschaft, dass sie
mich und meine Kinder und alle Kinder und Jugendlichen in diesem
Land davor beschützt, lebensgefährliche Stoffe zu
konsumieren, die mehr junge Menschen in der Welt umbringen als alle
Unfälle und Krankheiten zusammen. Ihr wisst vielleicht nicht,
dass alle Schulkinder und Jugendlichen, eigentlich bis sie
verheiratet sind, unter einem enormen Druck stehen, Drogen zu
nehmen.
    Achtzig Prozent derjenigen, die sie ausprobieren, überstehen
es, ohne abhängig zu werden. Dann haben wir noch zwanzig
Prozent, die Entzug um Entzug machen, arbeitsunfähig werden
oder sterben. Kann man sich damit abfinden, dass jedes fünfte
Kind geopfert wird? Ist das nicht ein zu großes
Opfer?«
    Sie starrte sie anklagend an.
    »Ich weiß, was ihr denkt«, fuhr sie fort.
»Ihr denkt, dass es nicht eure Schuld ist. Ihr tut euer
Bestes und mehr könne man nicht erwarten. Die Politiker taugen
nichts.
    Der Zoll taugt nichts. Die Polizei taugt nichts. Ärzte und
Therapien taugen nichts. Unsere Gesellschaft hat aufgegeben. Nach
dem Aufgeben kommt dann das Stockholm-Syndrom. Das Volk beginnt die
Drogen zu lieben, die seine Kinder töten. Es ist modern, mit
ihnen zu liebäugeln. Die Neoliberalen sagen, dass jedes
Individuum die Freiheit haben soll, sich selbst zu quälen. Das
ist eine Lüge. Jeder von uns trägt Verantwortung für
den anderen. Es gibt nichts, das Freiheit heißt, außer
der Freiheit, gute Taten zu vollbringen.«
    Wenngleich sie scharfe Worte wählte und entschlossen sprach,
schien sie nicht erregt oder hysterisch zu sein.
    Víkingur und Randver schwiegen.
    Edda beendete ihre Rede mit der Frage: »Wenn nichts
funktioniert, um uns vor der Gefahr zu schützen, was bleibt
dann noch?«
    Keiner der beiden Polizisten machte sich für eine Antwort
bereit.
    »Notwehr«, sagte Edda. »Notrecht. Wenn man
angegriffen wird, hat man das Recht, sich mit allen möglichen
Mitteln zur Wehr zu setzen, bis die Polizei an den Tatort kommt, um
einen zu retten.« »Wie würdest du dich
schützen?«, fragte Víkingur.
    Die Frau lächelte.
    »Ich muss mich nicht mehr schützen. Ich habe alles
verloren, was ich hatte, außer meinem eigenen Leben, das
allen egal ist ­ und mir selbst auch. Draußen ist Sommer,
aber ich bewege mich in schwarzer Finsternis. Das einzige Licht,
das hell genug ist, für mich zu leuchten, ist das Licht der
Gerechtigkeit. Wer soll es entzünden? Will es etwa niemand
tun?«
    Víkingur schaute die Frau an und verstand ihre Trauer und
ihren ohnmächtigen Zorn. Ihm war nicht bewusst gewesen, wie
wütend er selbst war. Das hatte er erst jetzt gespürt.
Seine Trauer hatte wie eine Bürde auf ihm gelastet. In seiner
Ohnmacht und Resignation hatte er nicht gemerkt, wie der Zorn in
seinem Inneren brannte.
    Wut auf sich selbst, Wut über Leere, Tatenlosigkeit,
Resignation.
    »Was ist deiner Tochter zugestoßen?«, fragte
er.
    »Ihr ist nichts weiter zugestoßen, als dass sie
umgebracht worden ist. Durch Drogen.«
    »Weißt du, wer es getan hat?`«
    Edda schaute ihn an und dachte nach, bevor sie antwortete:
»Sie haben ... ihre wohlverdiente Strafe
bekommen.«

Neunundzwanzig
    Terje schwebte in einem Land zwischen Leben und Tod herum. Manchmal
war er bei Bewusststein und sah und hörte den Koloss, der vor
ihm stand und unaufhörlich plapperte. Manchmal wurde ihm
schwarz vor Augen, das Bewusstsein entschwand und kehrte mit
Funkenregen und quälendem Schmerz zurück. Manchmal war
der Körper taub und er spürte seine Hände nicht und
der Mann, der vor ihm stand, war weit entfernt und hatte nichts mit
ihm zu tun.
    Zu Beginn hatte er gehofft, dass jemand kommen würde, um ihn
zu retten. Oder dass es ein Albtraum sei, aus dem er jeden
Augenblick aufwachen werde.
    Die Schmerzen in seinen durchbohrten Händen überzeugten
ihn davon, dass er sich in der Realität befand. Es ist
unmöglich, eine solche Tortur mitzumachen, ohne
aufzuwachen.
    Es nervte Karl Viktor, wie apathisch und weggetreten sein
Gefangener war. Er versuchte den Polizisten mit ein paar Ohrfeigen
aufzumuntern.
    »Du hörst nicht zu«, sagte er. »Du sollst
zuhören, was ich sage. Siehst du
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