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Hölle ohne Hintertür

Hölle ohne Hintertür

Titel: Hölle ohne Hintertür
Autoren: Stefan Wolf
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eintreffen. Kümmerst du dich? Er muss gleich auf die
Krankenstation.«
    »Klar doch, Pfote. Wir kümmern
uns. Sag mal: Hast du dich sehr erschrocken?«
    »Was meinst du?«
    »Kann mich ja täuschen. Aber
deine Stimme klingt... total geschockt. Als wärst du erschrocken oder
entsetzt.«
    »Bin ich nicht. Aber Martin tut
mir Leid.«
    »Na ja, das heilt wieder.
Sportunfälle kommen vor. Solange Kopf und Wirbelsäule heil bleiben, ist es bald
vergessen. Martin ist aber wirklich ein Unglücksrabe. Kniescheibe und zwei
Finger beim Waldlauf crashen — dazu gehört was.« Tim trat zum Fenster. »Du, ich
sehe: Eben fährt ein Taxi ab. Vorm Grauen Reaktor (Nebengebäude mit
Krankenstation). Dann hat ihn Schwester Gertrude schon in der Mangel. Wir
socken mal rüber.«
    »Und dann kommt ihr her?«
    »Wie verabredet, Pfote. Bussi!
Bis gleich.«
    Klößchen vergaß den modischen
Konflikt bezüglich seiner Badehosen und begleitete Tim. Jetzt am frühen
Nachmittag war der Schulhof zwischen den klotzigen Gebäuden verwaist. Die Hitze
des Junitages lastete auf der Landschaft, am Himmel war kein Wölkchen zu sehen.
Im Grauen Reaktor stiegen sie die Treppe hinauf. Die Krankenstation der Schule
liegt im ersten Stock und verfügt nur über wenige Betten. Einer Epidemie (Massenerkrankung) wäre man hier nicht gewachsen. Aber soviel Tim wusste, hatte es diesen Notfall
noch nicht gegeben, sieht man mal ab von der Erkältungswelle im letzten Winter,
als fast sämtliche Schülerinnen und Schüler husteten und schnieften.
    Schwester Gertrude kam ihnen im
Flur entgegen. Sie ist Ende vierzig, beliebt, freundlich und kompetent, aber
resolut wie ein Feldwebel.
    »Ihr wollt sicherlich zu
Martin. Hat sich schon rumgesprochen, wie? Ich habe ihn behandelt. Seine
Kniescheibe ist gebrochen, als hätte man draufgeschlagen. Wie er sich die
beiden Finger gebrochen hat, wird mir ein Rätsel bleiben. Der dritte und vierte
links. Leider ist er Linkshänder. Bis morgen bleibt er in meiner Obhut, denn er
kommt mir ein bisschen wacklig vor. Immerhin war er bewusstlos, wie mir Gaby am
Telefon sagte. Morgen wird sich Dr. Güttner das Knie ansehen. Leider ist er
heute auf ‘ner Tagung in... in... ich weiß nicht, wo.«
    »Berlin«, sagte Tim.
    »Wie bitte?«
    »Die Ärztetagung ist nicht in
Ich-weiß-nicht-wo, sondern in Berlin, Schwester Gertrude.«
    »Richtig! Jetzt fällt’s mir
ein. Was täte ich nur, wenn ich nicht von so vielen schlauen Burschen umgeben
wäre. So wie du einer bist, zum Beispiel.«
    »Sie wären
Gesundheitsministerin«, grinste Tim, »und wahrscheinlich der einzige Lichtblick
in der Regierungsmannschaft. Wie ist es nun? Darf man Martin besuchen oder
haben Sie ihn narkotisiert?«
    »Er ist bei vollem Bewusstsein,
du Kaffernbüffel. Also bemitleidet ihn. Er liegt in Zimmer drei.«
    Schmunzelnd setzte sie ihren
Weg fort.
    Klößchen seufzte. »Wenn sie 35
Jahre jünger wäre, würde ich mich in sie verlieben.«
    »Vielleicht hat sie ‘ne
Tochter. Über Gertrudes Privatleben weiß man ja nichts.«
    Vor Zimmer drei blieben sie
stehen. Tim wollte anklopfen, was bei einem Krankenbesuch durchaus schicklich
ist, hielt aber inne. Denn hinter der Tür war Martins Stimme zu vernehmen.
Offensichtlich telefonierte er und seine Stimme ließ einen zusammenzucken,
kletterte nämlich angstvoll und schrill die Tonleiter hinauf zu totaler
Hysterie (nervliche Aufgeregtheit).
    »...doch, Papa, doch! Du musst!
Bitte! Ich flehe dich an. Was sind für dich denn 68 000?! Nichts! ‘ne
Portokasse. Fliegenschiss an der Wand. Aber ich brauche das Geld. Dringend!
Bitte, frag nicht. Ja, ich habe Mist gebaut. Wieder mal. Aber jetzt geht es
darum — die bringen mich um. Die... die... Ich darf nicht daran denken. Als
Nächstes verliere ich die Zehen, dann die Ohren... Nur 68 000 Euro! Bitte,
Papa! Es ist bestimmt auch das letzte Mal. Nie wieder. Nein, nicht überweisen.
Schick Hugo her mit dem Geld. Ich brauche es morgen. Nein, nein, nein! Das darf
ich nicht sagen.«
    Stille. Tim und Klößchen sahen
sich an. Klößchen staunte Baumaterial für mindestens drei Kinderzimmer, Tims
Graue-Zellen-Organ arbeitete bereits auf voller Umdrehungszahl.
    Hoppla! Ein Hilferuf! Martin
brauchte die satte Summe, damit man ihm die nicht unwichtigen Körperteile ließ.
Also wurde er bedroht. Mit Folter und Verstümmelung. Warum? Weil er Geld
schuldete? Weil er Schaden verursacht hatte in der Höhe? Weil er erpressbar war
als Weichei-Söhnchen eines Superreichen? Jedenfalls sauste ihm der
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