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Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Titel: Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens
Autoren: Harald Evers
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Schmetterling gepasst und wieder sah sie es: die Bilder waren farbig. Leandra erkannte Grün
und Gelb, Hellblau, Ocker und Braun, alles nur in sehr blassen
Tönen, aber dennoch weitaus lebhafter als nur die ewigen Rottöne, die sie aus dem Bereich der Magie her kannte. Anfangs waren
es nur bunte Wolken und unbestimmbare, schwache Muster, gepaart mit einem ungewöhnlichen Gefühl der Erleichterung, welches von der Königin auszugehen schien. Womöglich war es ein
Ausdruck von Freude, Leandra wiederzusehen. Doch bald schon
änderte sich das, was Leandra fühlte.
Im Hintergrund ihrer Wahrnehmung erkannte sie wieder jenen
Ansturm der Dringlichkeit. Es fühlte sich an wie der Wunsch, eine
wichtige Mitteilung zu übermitteln, vielleicht sogar eine Bitte vorzutragen. Im ersten Moment vermochte Leandra es noch nicht
genau zu bestimmen, aber dann strömten Bilder auf sie zu. Der
riesige, orangefarbene Ball des Halon war natürlich eines der ersten Motive, das sie erkannte. Dann sah sie die Ringe, endlose
Felder von Felstrümmern und riesige Eiskristalle. Anfangs erschien ihr alles noch undeutlich und verschwommen; für ihr Inneres Auge waren die Farben sehr ungewohnt. Aber da der Hintergrund zumeist schwarz war, konnte Leandra die Einzelheiten bald
besser unterscheiden.
Sie schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf die Bilder.
Allmählich wurden sie deutlicher, dann glaubte Leandra, Leviathane erkennen zu können. Ja, es waren ein paar Dutzend große
graue Leiber, zwischen ihnen einer, der viel größer war, offenbar
eine Königin. Leandra wunderte sich zuerst, dass dieser Schwarm
so klein war, dann aber sah sie weitere Leviathane ins Bild gleiten. Die Entfernung nahm zu, schließlich lag der ganze Schwarm
in ihrem Blickfeld. Sie stutzte – mehr als ein paar Hundert Leviathane waren das nicht. Das Bild glitt von dem Schwarm fort, trieb
durch die Eis- und Felsbrocken, erreichte einen neuen Schwarm.
»Sie will mir etwas… sagen«, flüsterte Leandra in ihr kleines
Mikrofon.
»Etwas… sagen?«, hörte sie Mai:Tau’Juis Stimme in ihrem rechten Ohr.
»Ja… warte…«
Der Schwarm, den Leandra nun sah, war etwas größer, aber
nicht wesentlich. Sie schätzte ihn auf vierhundert Leviathane,
höchstens fünfhundert.
Geduldig wartete sie, bis sie aus dem Blickfeld rückten und ein
neuer Schwarm erschien. Ja, ihre Vermutung war richtig. Die Königin wollte ihr sagen, dass die Schwärme…
»Sie sind eigentlich viel kleiner«, flüsterte sie ins Mikrofon. »Die
Schwärme. Die Königin… Choucita, sie zeigt mir Bilder mit lauter
kleinen Schwärmen, höchstens fünfhundert Leviathane. Aber bei
jedem Schwarm ist eine Königin dabei.«
»Was?«, hörte sie Mai:Tau’Juis verwunderte Stimme. Mehr
wusste die Ajhana dazu nicht zu sagen.
Kurz streifte die Sonne Aurelia durch Leandras Blickfeld; sie
kam ihr ein wenig kleiner und weißer vor, doch dann war das Bild
wieder fort und fing einen neuen Schwarm ein.
Eine seltsame Ruhe breitete sich in den Bildern aus, eine Ruhe,
in die sich bald eine ungute Vorahnung schlich.
Plötzlich kam eine ganz neue Empfindung.
Ein entsetzlicher Schmerz brandete über Leandra hinweg; sie
spürte ihn nicht körperlich, es war wie ein seelisches Echo – urplötzlich, hart, brutal. Gepeinigt stöhnte sie auf, versuchte sich zu
fangen, wieder Orientierung zu gewinnen. Es wiederholte sich,
Augenblicke später, und zum Glück fiel ihr ein, dass sie das Innere Auge etwas schließen konnte… Sie tat es, kurz darauf ließ der
Schmerz nach.
»Leandra! Was ist mit dir?«
Sie stöhnte leise. »Nichts, schon gut. Ich muss…«
Schwer atmend versuchte sie die Kontrolle über sich zurückzugewinnen. Ihr Herz schlug dröhnend, Tränen hatten sich in ihren
Augenwinkeln gesammelt, ihre Muskeln fühlten sich eiskalt und
verkrampft an. Ja, es war der Schmerz des Todes gewesen, den
sie gespürt hatte, und es hatte sich entsetzlich angefühlt. Eine
beklemmende Frage des Warum? hatte darin mitgeschwungen,
eine Woge schmerzlichen Bedauerns und sogar eine der zerschmetterten Liebe, die Opfer dieses grauenvollen Vorfalls geworden war. Für Momente hatte sie geglaubt, den Verstand verlieren zu müssen.
Sie öffnete ihr Inneres Auge wieder, es war wie ein Befehl aus
ihr selbst heraus – etwas, das wissen wollte, was geschehen war.
Einer der Leviathane aus dem kleinen Schwarm war zurückgefallen, und nun sah sie es: drei, vier kleine Objekte schwirrten um
ihn herum, und er starb. Sie konnte es fühlen.
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