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Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Titel: Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens
Autoren: Harald Evers
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28
Staubkorn
    Leandra hatte keine Angst. Sicher ganz im Gegensatz zu Roscoe
und Mai:Tau’Jui, die in der Swish zurückgeblieben waren und sie
zweifellos mit wild pochenden Herzen beobachteten. Aber beobachten – das galt wohl eher für die Königin. Dass sie selbst für
die beiden noch zu sehen war, konnte sie sich nicht vorstellen.
Inzwischen war sie nur noch ein Staubkorn im All, das in einer
Meile Abstand vor einem gigantischen Lebewesen schwebte, welches ganz sicher weitaus mehr war als nur eine von Instinkten
gesteuerte, hirnlose Kreatur, die ziellos eine Welt umkreiste. Dessen war sich Leandra inzwischen ganz gewiss.
    Der Schwarm selbst war mehrere tausend Meilen entfernt,
schätzte Leandra. Aber die Königin war hier bei ihr, und ihr gigantischer, schlanker Leib schimmerte ockerfarben im warmen Licht
des Halon. Während der letzten Tage auf der Melly Monroe, wo
Leandra sämtliche verfügbaren Wissensquellen durchsucht hatte,
war sie auf historische Bilder gestoßen, die aus der VorVergangenheit der Menschheit stammten – einer Zeit, in welcher
die Menschen noch auf der sagenhaften, untergegangenen Erde
gelebt hatten. Irgendetwas sagte ihr, dass die Höhlenwelt vielleicht doch diese Erde sein könnte, obwohl einige Einzelheiten
einfach nicht zusammenpassen wollten, wie zum Beispiel dieses
zeitliche Loch von über fünfhundert Jahren – zwischen dem Untergang der Erde und dem Beginn der Geschichte der Höhlenwelt.
Es wollte sich nicht schließen lassen. Doch es gab andere Dinge,
welche seltsam schlüssig zusammenpassten, wie beispielsweise
die Tierwelt. Leandra hatte das Bild einer Kreatur gefunden, die
sie von der Höhlenwelt her kannte und die es offenbar auch auf
der Erde gegeben hatte. Es handelte sich um einen Fisch, und er
ähnelte der Leviathan-Königin. In der Höhlenwelt kannte man ihn
unter dem Namen Morbol, und auf der früheren Erde hatte man
ihn Hai genannt: ein Räuber der Meere, gefährlich und gefräßig,
aber unglaublich elegant in der Bewegung und schlank in der Gestalt. Die Königin, der die Hüller den Namen Choucita gegeben
hatten, besaß eine ähnlich lang gestreckte Form wie ein Morbol,
und ihre seitlichen Finnen ähnelten seinen Brustflossen, wenngleich sie viel länger waren und sich wie gerundete Schwingen
den ganzen Leib entlang bis zum Schwanz zogen. Ähnlich verhielt
es sich mit der steilen Rückenflosse des Morbols, die bei der Königin ebenfalls zu einem langen Rückenkamm ausgeformt war.
    Die beiden wesentlichsten Unterschiede lagen im Kopf, der
dort, wo sich das riesige Maul befand, stark abgeschrägt war, und
in den Rippensegmenten des Leibes.
    Außerdem hatte der Morbol ein inneres Knochengerüst, während die Königin ein Außenskelett besaß. Doch die Ähnlichkeit in
der Gestalt der beiden Wesen war verblüffend.
    In einen der dünnen, hochmodernen Raumanzüge gehüllt, wie
Ain:Ain’Qua ihn damals getragen hatte, trieb Leandra durchs All
und beobachtete die Königin. Die beiden dunklen Augen an der
Vorderseite des Kopfes schienen sie zu mustern, während das
riesige Wesen fast unbewegt zwischen den Gesteinstrümmern
und Eisbrocken des Halonrings trieb. Es gab für Leandra keinen
Zweifel mehr – dies war eine von der Königin gewollte Begegnung
und kein banaler Zufall.
    »Choucita«, flüsterte Leandra, wie um sich mit der Persönlichkeit des Riesenwesens vertraut zu machen. Sie öffnete ihr Inneres Auge und tastete sich ans Trivocum heran.
    Als sie die Königin zu spüren begann, fühlte sie sich an etwas
erinnert.
Vor Jahren hatte sie einmal einen Nachtfalter gefangen, der sich
zu Hause, in Angadoor, in ihr Zimmer verirrt hatte. Sie hatte immer Angst vor den großen, schwarzen und haarigen Insekten gehabt, bis ihre Mutter ihr einmal erklärt hatte, dass Nachtfalter
nichts anderes als Schmetterlinge der Nacht seien – nur, dass sie
keine bunten Flügel besäßen, da nachts ohnehin niemand die
Farben sehen könne. Das hatte Leandras Einstellung zu diesen
Insekten verändert. Als sie in jener Nacht gewagt hatte, zum ersten Mal einen Nachtfalter in der hohlen Hand zu fangen, war sie
von der Zartheit seiner Berührung fasziniert gewesen. Er hatte
sich samtweich angefühlt, trotz seiner anfangs heftigen Flügelschläge.
Ähnlich samtweich kamen nun Leandra die geistigen Berührungen durch die Königin vor. Es war faszinierend, wie ein so gewaltiges Wesen eine derart zarte und sanfte Ausstrahlung haben
konnte, sie hätte eher zu einem
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