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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst
Autoren: Christine Lehmann
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Bewunderung vom entmannten Höhlenkrokodil auf mich. In voller Montur mit klirrenden Karabinern und Steigklemmen trat ich an den Felsen. Auf dem Schild im Kraut am Felsfuß stand:
     
    Mondscheinhöhle
    Fundierte Höhlenkenntnisse erforderlich
    Andernfalls besteht Lebensgefahr!
    Der Vorsitzende des Naturforschenden Vereins
    Schwäbische Alb,
    H. Fauth
     
    Der Höhlenmund versteckte sich als Schlitz unterm Felsüberhang. Niemand konnte aus Versehen hineinstolpern. Ich musste auf dem Hintern unter den Stein rutschen. Hark hängte das Seilende mit dem Schraubkarabiner in einen Ring, der in den Boden zementiert war. Den ersten Karabiner sicherte er schulmäßig mit einem zweiten.
    »Tu langsam!«, sagte er, nun auch ins rauweltliche Du übergehend. »Es dürfen keine Steine vom Höhlenmund fallen. Sie könnten Julian verletzen, falls er da unten ist. Und jetzt umdrehen.«
    Janette hob ihren Fotoapparat und blitzte mich ab.
    Das Loch war eng. Ich drehte mich, schon halb in der Höhle, mit dem Rücken zum Fels, während Hark mit seiner Hand den Abseiler an meinem Bauch vor dem Schmodder am Höhlenmund schützte.
    »Glück tief!«, knurrte er.
     

3
     
    Hilfe! Ein letzter Blick in die blendenden Lichter der Lampen, dann schlug der Stein über mir zusammen. Loslassen! Rums. Ich baumelte am Seil. Wenn ich es recht überlegte, war ich bisher nur in der Bärenhöhle gewesen. Da ging es ebenerdig hinein, und es gab hübsche Tropfsteine. Aber hier ging es senkrecht in die Tiefe. Kantiger gelblicher Fels leuchtete im Schein meiner Helmlampe. Die Wand rückte von allen Seiten an mich heran. Ich an gelte nach dem Seil, das unter mir baumelte, und umfass te erneut den Abseiler.
    Hark hatte mir im Schnelldurchlauf den Schacht beschrieben, aber mein Hirn hatte alles rausgesiebt bis auf das Wort »Perlsinter«. Das war wohl das, was einige Meter weiter unten aus der Wand knöpfte, glasierte Kügelchen wie Streuselkuchen. Die Herrentorte versinterte in meinem Magen.
    »Wo bist du?«, sprotzte das Funkgerät an meinem Brustgurt. Harks Stimme war kaum zu erkennen.
    »Am Streuselkuchen.«
    »Dann … sprotz … drei Meter bis … knatter … Engstelle.« Unter mir eierte in feuchten Felsringen das Loch der Röhre. Die Wände trieften, der Sinter schillerte. Ich klammerte und ratschte im freien Fall abwärts. Loslassen! Aber die Hand am Abseiler gehörte nicht mehr zu mir. Mich rettete nur die Notwendigkeit, mich mit den Händen abzustützen, um nicht gegen die Wand zu pendeln. Als mein Herzklopfen und Blutrauschen nachließen, hörte ich das Funkgerät brodeln.
    »Ich bin am Muttermund«, sagte ich in der Hoffnung, dass mein Babyphon besser funktionierte als mein Empfang.
    Gleich unter dem Durchschlupf bekam ich rutschigen Boden unter die Schuhe. Der Knick bildete einen abschüssigen und schmierigen Rastplatz. Ein Stück weiter pulsierte der zweite senkrechte Schlund und hauchte feuchte Finsternis herauf. Der Blick in eine außerdem halbwegs waagerecht abzweigende Röhre verlangte, dass ich auf Knie und Hände ging.
    Unter dem Handschuh fühlte ich beim Vorrücken zum Röhrenmund einen Fremdkörper im Schmodder. Eine Uhr! Es müllten auch noch andere Dinge auf dem Absatz im Knick, eine Glasflasche, Stöcke und Steine. Offenbar konnten viele auf dem Grillplatz der Versuchung nicht widerstehen, die Tiefe des Schachts mit Einwürfen auszutesten. Die Uhr mochte jemand bei diesem wenig naturschützerischen Tun verloren haben. Ich zog mir den Handschuh aus, knüpfte sie mir ans Handgelenk und zog den Handschuh wieder an.
    Eigentlich hätte Julian hier im Müll landen müssen, wenn er im Schacht hinuntergerutscht war, weil das Seil sich gelöst hatte. »Erst in die horizontale Röhre schauen!«, hatte Hark Fauth mir eingeschärft. »Wenn Julian im Toten Ende steckt, ist eh alles zu spät.« In den für einen erwachsenen Menschen unzugänglichen Spalten des zweiten Schlunds würde ich ihn nicht einmal sehen können.
    Ich suchte für mein Seil einen Ring, den Vorgänger am Knick in die Wand gedübelt hatten, und hängte es mit einem Karabiner dort ein.
    »Julian!«, rief ich aus beengter Brust. »Wo bist du?«
    Täuschte ich mich, oder hörte ich tatsächlich ein Wimmern?
    Das Klirren meines Geschirrs störte die Peilung. Die horizontale Röhre schluckte das Licht meiner LED-Lampe in die Endlosigkeit weg. »Julian!«, rief ich hinein. Stille kam zurück. Ich hielt meinen Atem an, bis mir die Lunge zu den Ohren herauskam. Immer noch Stille.
    »Ich
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