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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst
Autoren: Christine Lehmann
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behauptet hatte, ich hätte es auf dem Truppenübungsplatz verloren, muss te ich dabei bleiben.«
    »Und wo hast du es tatsächlich verloren?«
    »Gar nicht. Ich habe es Gerrit gegeben.«
    »Was?«
    »Es war an dem Freitag, als ich in Steinhilben vor dem Schul- und Rathaus auf Hildegard wartete und vorhatte, sie kalt damit zu überraschen, dass ich für ein paar Tage ihr Gästebett belegen würde. Ein paar Buben waren dabei, ein Handy zu Schrott zu kicken. Sie lachten dabei einen schmalen, dunkeläugigen Jungen aus, der beschämt herumstand.«
    Ich blieb stehen. »Richard!«
    Er lächelte schief. »Ja, ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Der Junge tat mir halt Leid. Wobei ich wohl vor allem mir selbst Leid tat. Ich war vor meiner Unfähigkeit davongelaufen, mit dir zu reden, war voller Ungewissheit, ob Hildegard mich aufnehmen würde, und ratlos, wohin ich mich sonst wenden sollte. Ich fühlte mich verstoßen und einsam. Ich sah in dem unglücklichen Buben mich selbst und wollte wenigstens ihm was Gutes tun.«
    Deshalb also hatte Gerrit nicht gefremdelt, als ich mit Richard ins Rabenhaus kam. Sie waren gewissermaßen alte Bekannte gewesen.
    »Aber warum hast du mir das nicht einfach erzählt?«, fragte ich sanft.
    »Es war mir peinlich, Lisa. Ich fühlte mich nicht in der Verfassung, mich von dir auslachen zu lassen.«
    »Aber ich hätte dich doch nicht …« Ich musste lachen. »Doch, allerdings. Du überlässt einem fremden Jungen dein Handy samt Vertrag! Und dann taucht es bei einer Leiche wieder auf. So was kann auch nur dir passieren!«
    »Ich habe es ihm nur geliehen«, stellte Richard richtig. »Er musste seinen Vater anrufen, wegen irgendeiner Nachmittagsunternehmung, die er vergessen hatte ihm mitzuteilen. Es war ihm ganz arg, dass sein Vater erfahren könnte, dass seine Klassenkameraden ihm die Sachen kaputtmachen. Da habe ich gesagt, er soll meines nehmen, bis er ein neues hat. Ich habe ihm sogar angeboten, mit ihm ein neues Kartenhandy zu kaufen.«
    Ich lachte. »Oh, Richard!«
    »Aber das wollte er nicht. Er meinte, eine Woche wür de er es noch brauchen, solange Schule sei. Und am Pfingstmontag sei er mit seinem Vater auf dem Pfingstmarkt in Laichingen, und da würde er es mir zurückgeben. Wir haben einen konspirativen Treffpunkt ausgemacht, bei einem Café in einem Hinterhof. Hildegard hat mir dann gesagt, wo Gerrit wohnt. Ich hätte mir also mein Handy jederzeit wiederbeschaffen können. Aber was sie mir sonst noch über Gerrit und Hark erzählte, zwei Außenseiter hier heroben, das hat mich mit meiner sentimentalen Aktion dann versöhnt.«
    »Verdammt, Cipión, zieh doch nicht so!« Der Hund röchelte, so stemmte er sich auf seinen Stummeln mit Pfoten in die Leine. Richard verschaffte ihm Erleichterung, indem er sich und mich wieder in Marsch setzte.
    »Leider«, fuhr er fort, »hat Gerrit mein Handy verloren. Er hat mir am Montag auf dem Pfingstmarkt eine ziemlich wilde Geschichte erzählt. Sie hätten die Hosen aneinander binden müssen, weil ein Kumpel in eine Höh le gefallen sei. Und er hätte vergessen gehabt, dass mein Handy in seiner Hosentasche steckte.«
    »Aber wenn es immer unten in der Höhle lag und du wusstest, wieso, warum bist du dann überhaupt zu Winnie gegangen? Was sollte der dir erzählen?«
    »Ich hatte gehofft, dass er mir ein bisschen was über Hark und Gerrit erzählt und über deren Beziehung zu Haugk. Aber ich war ihm wohl nicht geheuer. Er hat abgeblockt, und da habe ich mir aufzeichnen lassen, wo er das Handy gefunden hat. Und dann bin ich zu euch in den Kletterpark gefahren, in der vagen Vorstellung, die eigene Anschauung werde meinen Verdacht entkräften, dass einer von den beiden Haugk umgebracht hat.«
    »Und Hildegard? Wusste sie, wo du dein Handy gelassen hattest?«
    »Nein. Als sie herunterkam, waren die Kinder schon lange weg. Ich habe ihr nur erzählt, dass ein paar Buben Gerrits Handy kaputtgemacht haben.« Er fuhr sich über die Haare. Dann hob er seinen asymmetrischen Blick in meinen. »Gott, Lisa, hatte ich eine Angst, dass Gerrit den Mord an Achim Haugk zugibt, als wir uns sein schreckliches Poesiealbum anschauten. Er war dicht davor, als ich ihn mit meiner ganz anderen Interpretation des Briefs konfrontierte. Erinnerst du dich?«
    Ich erinnerte mich nur an Richards plötzlich ernste Miene.
    »Doch ich habe es dann wieder vergessen oder verdrängt, in meiner Angst um dich, als Janette beim Gedanken hysterisch wurde, dass du mit Hark im
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