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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst
Autoren: Christine Lehmann
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ein Stoppelfeld im Herbst, einem in markante Wangenfalten gefrästen Stoppelbart, die Augen grau wie Regenwolken, einem kräftigen Kinn und einer aufreizenden Ruhe in den lockeren Gliedern.
    »Hallo, Hark!«, sagte Janette mit einem Klickern in der Stimme, das hormonellen oder anderen Stress verriet.
    Er blieb locker in der Hüfte. »Hallo, Janette.« Seine Stimme war angeraut von einer gewissen Grundaggressivität und auch nicht stresslos.
    »Das ist …« Janette musterte mich unschlüssig.
    »Der Liebhaber aus Stuttgart«, sprang ich ihr bei.
    Dem Höhlenkrokodil fiel die Mimik aus dem Gesicht. Janettes Stimme wurde schrill. »Das ist LISA Nerz! Eine … eine Kolleg-IN aus Stuttgart!«
    »Ex«, korrigierte ich.
    Hark blickte verständnislos, aber nicht uninteressiert. Leider musste ich den schwarzen Grafen auf der Regenrinne im Auge behalten.
    »Hark«, sagte Janette, »wir suchen Julian. Ist er bei euch?«
    »Nein.«
    »Mirjam Kerner hat mich angerufen, du weißt, die neue Klassenlehrerin. Julian ist nicht nach Hause gekommen. Er wollte scheint’s mit Volker und Gerrit zur Mondscheinhöhle.«
    »Ausgeschlossen!«
    Der Rabe ordnete raschelnd sein Gefieder, hüpfte klackernd auf der Regenrinne hin und her und beäugte mich erst mit dem einen, dann mit dem anderen Auge. Die Anspannung schoss mir vom Nacken bis in die Kniekehlen.
    »Könnte ich trotzdem mal mit Gerrit sprechen?«, frag te Janette.
    »Wozu? Außerdem ist für solche Fälle die Höhlenrettung in Göppingen zuständig. Die Nummer kennst du ja.«
    Da schob sich ein vielleicht neunjähriger Junge aus dem Flur in die Sonne. Wenn das Harks Sohn war, konnten Vater und Sohn kaum gegensätzlicher sein. Gerrit war ein Hemd – wie man in Schwaben sagt – mager und klein. Seine Augen und sein Haarschopf waren schwarz wie Grillkohle. Vermutlich, dachte ich, hatte Hark seine Frau nach einem Gentest umgebracht. Allerdings hätte er dann wohl kaum den Jungen … Aber darum ging es jetzt wirklich nicht.
    »Hallo, Gerrit«, sagte Janette im routinierten Tantenton. »Weißt du, wir suchen Julian. Und wir haben gehört, dass er zur Mondscheinhöhle wollte.«
    »Man kann nicht rein in die Höhle«, nuschelte Gerrit gesenkten Blicks. »Man braucht das ganze Schachtgeraffel. Seile und so.«
    Hark legte die Hand auf die Schulter seines Sohnes.
    »Kann aber schon sein, dass sie hingegangen sind«, druckste Gerrit zu seinem Vater hoch.
    »Ist das weit von hier?«, fragte ich.
    »Am Lippertshorn«, antwortete der Junge.
    »Zu Fuß eine halbe Stunde«, ergänzte Hark und deute te mit einer kurzen Kopfbewegung hinter sich in die Wälder.
    »Komm, Janette, was stehen wir hier noch herum?«, sagte ich. »Der Held hat Schiss, er kneift.«
    Die Sonne verlosch im Wald. Gerrit verschwand vor Scham im Boden, und im Haus begann ein Telefon zu klingeln. Hark drehte sich um und war weg. Der Rabe ließ sich von der Regenrinne plumpsen und segelte in den dunklen Korridor.
    Ich atmete aus.
    »Säckel!«, fluchte Janette und kramte nach dem Telefon. »Dann rufen wir halt die Höhlenrettung an.«
    Ich ordnete rasch die Örtlichkeiten: Göppingen lag unten, genauso wie Reutlingen. Janettes Blatt war trotzdem für hier oben zuständig und die Höhlenrettung auch.
    Janette zog, während sie lauschte, die Brauen hoch, dann klappte sie das Telefon zusammen. »Die wissen es schon. Sie suchen gerade nach jemandem, den sie schicken können, denn der Vorstoßtrupp der Höhlenrettung Bad Urach befindet sich auf Fortbildung im Nordschwarzwald.«
    Bad Urach lag zwischen Unten und Oben in den Falten des Albtraufs.
    »Und ehe man das volle Programm abfährt, sollte halt jemand nachschauen. Das kostet ja immer ein Heidengeld, und acht von zehn Alarmen sind Fehlalarme.« Janette tauschte das Telefon gegen ihren Autoschlüssel.
    »Moment!«, rief es da vom Haus her. »Janette, warte! Ich hole nur schnell die Ausrüstung.« Und schon war Hark Fauth wieder weg.
    »Scheint’s hat die Höhlenrettung ihren Mann gefunden«, bemerkte ich. »Warum hat er sich dann so geziert?«
    Janette zuckte mit den Schultern. Wir wanderten zum Wagen. Während Janette den Golf wendete, besichtigte ich das Kinderfahrrad in der Wiese. Es hatte einen Platten und zwei verbogene Speichen. Da kam auch schon Hark aus dem Haus gelaufen, über der Schulter eine voluminöse rote Sporttasche mit dem Aufdruck einer kleinen schwarzen Spinne. Weder Kind noch Rabe folgten ihm.
    Ich zog mich in die Verantwortungslosigkeit der Rückbank zurück.
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