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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst
Autoren: Christine Lehmann
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Janette raste los, und Hark begann an seiner Sporttasche zwischen den Füßen herumzuzippen. Steigklemmen und Schraubkarabiner klirrten, klackend befüllte er eine Helm- und Handlampe mit Batterien, ließ zwei Funkgeräte zischen und wühlte anschließend in Seilen, Leinen, Longen und Gurten.
    Wir fuhren nördlich aus Steinhilben hinaus und bogen in den nächsten Feldweg ein, der auf den lang gestreckten Wald zuhielt, in dem sich das Lippertshorn versteckte. Ein Wandersmann trat zur Seite. Er trug Kord, Loden und einen Pfadfinderrucksack aus Stoff mit speckigen Lederriemen. Außerdem Hut und Stock.
    Janette ließ das Fenster hinunter und hielt. »Hallo, Bodo!«
    Der Alte bückte sich unter seinem Hut weg. »Hallo, Janette, hallo, Hark.« Auch mich traf sein Blick aus ungemein blauen Augen.
    »Bodo«, sagte Janette. »Hast du Kinder im Wald gesehen? Wir suchen Julian.«
    »Den habe ich nicht gesehen«, erwiderte der Alte.
    »Warst du an der Mondscheinhöhle?«
    »Nein.«
    »Danke. Wir müssen weiter. Schönen Abend noch.« Janette startete. Der Wandersmann schrumpfte im Rückfenster, die gebutterte Wiese rückte an ihn heran, der zart ergrünte Wald verdrängte ihn aus meinem Blickfeld.
    »Das war Bodo Schreckle«, warf mir Janette über den Rückspiegel zu, »genannt Bodo der Schreckliche. Alle Trochtelfinger sind bei ihm zur Schule gegangen, auch Florian. Alle hat er sie durch die Ammonitengründe des Jurakalks geschleppt. Florian musste erst dreißig werden, um ihm dafür dankbar zu sein!« Sie lachte. Sie selbst war ja woanders zu Schule gegangen, erst zusammen mit mir, dann zusammen mit einer anderen besten Freundin.
    Im Wald dämmerte es schon. Schrundige Kalkfelsen stellten sich uns in den Weg, Gebüsch zerrte an den Türen. Wir rutschten durch einen Hohlweg um eine Ecke, und Janette trat mit aller Kraft in die Eisen, denn vor uns glühten die Rücklichter eines Streifenwagens auf. Seine Scheinwerfer bestrahlten eine Forsthütte.
    Zwei mit Taschenlampen bewaffnete Polizisten – einer von ihnen war Polizeihauptmeister Heinz Rehle – in schwarzen Lederjacken waren ausgestiegen und halfen zwei Frauen aus den hinteren Türen. Die eine war jung, blond und blauäugig, mit der aus Unreife gepressten Strenge einer gerade aus der pädagogischen Hochschule entsprungenen Lehrerin auf den Lippen: die Klassenlehrerin, Mirjam Kerner. Die andere war Julians Mutter, eine alkoholisierte Tonne in gestreiftem Zelt mit schiefen Pantoffeln an den geschwollenen Füßen. Beide passten nicht in den Wald, in dem Hark zum Naturburschen mutierte.
    Die Hauptsorge der Mutter galt dem Versuch zu erklären, warum sie die Abwesenheit ihres Sohnes bis jetzt nicht bemerkt hatte. »Der Kerle ist doch ständig mit Gerrit unterwegs. Soll ich da jedes Mal Alarm schlagen?«
    »Ich sage Julian immer, dass er Sie anrufen soll«, verteidigte sich Hark, »aber Sie gehen ja oft gar nicht ans Telefon.«
    »Jetzt schaun wir erst mal«, schlichtete Heinz Rehle.
    Vor uns lag ein kurzer, von Wurzeln durchzogener Anstieg auf eine kleine kahle Höhe vor einem hohen graugelben Kalkfelsen, in dessen Schrunden Kraut und junge Buchen wucherten. Auf der Lichtung zeugte ein Ring aus Steinen und durchnässte Holzasche von neuzeitlicher Freizeitkultur. Ein umgelegter Baumstamm bot sich als Sitzgelegenheit an. Gegen den Stamm war ein blaues Kinderfahrrad geworfen.
    »Das ist Julians!«, keuchte die Mutter. »Na, der kann was erleben!«
    Im Schein der Taschenlampen leuchtete weiß ein am Felsen in den Boden betoniertes Schild. Das Kraut war flach getrampelt. Der Polizist ging in die Hocke, wobei er versuchte, sein Knie vor Bodenkontakt zu bewahren, und rief »Hallo!« in ein Loch, das ich nicht sah. »Julian? Bist du da unten? Hallooooo!« Kopfschüttelnd blickte er zu uns hoch.
    Hark ließ mit verbissenen Kiefern seine Tasche an dem Baumstamm fallen. Janette holte Block und Digitalkamera aus ihrer Handtasche. Julians Mutter wankte. Mirjam Kerner sprach beruhigende Worte. Ich war überflüssig und schaute mich nach Hark um.
    Er hatte einen rotblauen Schlaz, den Plastikoverall der Höhlenfahrer, über den Baumstamm gelegt und holte ein zum Bündel geknüpftes weißes Seil aus der Tasche, löste den Knoten, begann es Meter für Meter der ganzen Länge nach durch die Hand zu ziehen, um mögliche Verdrehungen zu glätten, und ließ es dabei in Schlingen auf den Boden fallen. Etwas stimmte nicht dabei.
    »Kann ich helfen?«
    Das letzte Tageslicht legte einen schweißigen
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