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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst
Autoren: Christine Lehmann
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Seine Liebe war Schicksal. Sie war seine persönliche Katastrophe. Und er nahm sie an.
    »Genau dort«, sagte er mit seiner in die Tiefe gepressten Stimme, »habe ich die Uhr im vergangenen Herbst verloren, als wir mit den Kindern und einigen Kollegen am Lippertshorn ein kleines Grillfest veranstalteten. Dafür gibt es Zeugen. Und verloren ist nicht ganz korrekt. Ich hatte sie beim Grillen abgelegt, damit sie keinen Schaden nimmt, und unser Adrian, unser Jüngster, er ist fünf Jahre alt, hat sie unbemerkt an sich genommen und sie in die Höhle geworfen, um zu hören, wie tief unten sie aufschlägt.« In seiner Stimme schmauchte ein Vaterstolz, der selbst Dummheiten noch in frühkindlichen physikalischen Forschergeist umdeutete. »Aber wie …« Jetzt blickte Abele mich kurz an. »Wie sind Sie darauf gekommen, dass die Uhr mir gehört?«
    Ich holte Luft.
    Aber Richard unterbrach mich: »Herr Hauptkommissar, es wäre für Sie und mich von Vorteil, wenn Sie von sich aus erzählen würden, was Sie möglicherweise unternommen haben, um sich diese Uhr, die ja einen beträchtlichen materiellen Wert darstellt, wiederzubeschaffen. Ich brauche Sie nicht darauf hinzuweisen, dass ich jetzt hier nicht als Staatsanwalt vor Ihnen sitze, sondern als Privatmann. Frau Nerz und ich könnten gegebenenfalls bezeugen, dass Sie uns aus freien Stücken erzählt haben, was auch immer Sie uns erzählen möchten. Doch bevor Sie etwas sagen, sollten Sie sich vielleicht erst einmal die Uhr anschauen und für sich selbst entscheiden, ob das wirklich Ihre ist.«
    »Immer korrekt, der Herr Oberstaatsanwalt!«, bemerkte Abele mit einem Anflug von Ironie, die allerdings schnell von einem schmeichelnden Unterton verschluckt wurde. Er beugte sich erneut vor und nahm die Uhr, um sie von allen Seiten zu besichtigen. Sein Daumen verhielt bedauernd in den Eindrücken von Cipións Zähnen im Armband. »Es ist meine.« Abele machte jedoch keine Anstalten, sie sich ums Handgelenk zu schnallen. Denn dort trug er bereits Ersatz. »Ich hatte sie schon verloren gegeben. Wo haben Sie sie denn jetzt auf einmal herbekommen? In der Höhle war sie ja nicht mehr.«
    Richard faltete Sturheit in die Mundwinkel.
    »Ach so, ja. Ich soll es ja von mir aus erzählen. Ja, das war so. Den Winter über konnte ich nichts unternehmen. Bis zum 15. April stehen die Höhlen unter Naturschutz, der Fledermäuse wegen, wie mir die Fachleute versicherten. Die Höhlenrettung wollte ich zunächst nicht bemühen für so eine … eine Lappalie.«
    Alle Achtung!, dachte ich. Zehntausend Euro waren für Kojak eine Lappalie.
    »Aber ein Kollege von der Internetermittlung des LKA hat mir den Tipp gegeben, mich in den entsprechenden Chatrooms umzuhören. Anfang April hat denn ein gewisser Achim Haugk mit mir Kontakt aufgenommen. Er betrieb, wie Sie ja wissen, eine Kampfmittelbeseitigungsfirma in Münsingen. Er sagte, er habe reichlich Klettererfahrung und sei bereit, den Abstieg zu unternehmen, gegen Finderlohn natürlich.«
    Abeles sehnsüchtiger Blick musste mit mir Vorlieb nehmen, weil ich, im Gegensatz zu Richard, immerhin nickte, allerdings mit geteilter Aufmerksamkeit. Denn zwischen meinen Füßen bemühte ich mich, Cipión davon abzuhalten, dass er loszog, um die Küche zu finden.
    »Es kam ein Treffen zustande in einem Café in Laichingen, bei dem wir die Modalitäten ausmachten. Haugk wollte zehn Prozent des Wertes der Uhr. Ich willigte ein. Einen schriftlichen Vertrag haben wir nicht geschlossen, was natürlich ein Fehler war. Wir Ermittler schütteln immer die Köpfe darüber, wie vertrauensselig die Leute sind. Die wenigsten Verträge werden schriftlich gefasst, angefangen bei den Eheverträgen bis zum Gebrauchtwagenkauf. Und auf einmal ist man selber genauso dumm und vertraut einem wildfremden Menschen, nur weil er einen ehrlichen Eindruck macht.«
    Die Anbiederung funktionierte nicht. In Abeles Gesicht spiegelte sich die Verweigerung jeglicher Kumpanei, die Richard in seine Miene grub.
    »Jedenfalls, am Freitag, den 22. April sollte es so weit sein. Haugk rief mich im Amt an. Das Wetter sei gut, er habe ohnehin in der Gegend zu tun und er wolle die Angelegenheit vor seinem Urlaub aus dem Kopf haben. Tja, und das war dann das letzte Mal, dass ich etwas von ihm gehört habe.« Abele blickte mich an. »Bis er tot aufgefunden wurde.«
    »Sie sind also«, bemerkte ich, da Richard sich nicht rührte, »gar nicht mit Haugk zusammen zur Höhle gegangen, um die Uhr sogleich in Empfang zu
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