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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst
Autoren: Christine Lehmann
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einem Feind zu verzeihen, und schwer, sich selbst zu verzeihen, aber es ist unmöglich, dass eine Freundin einer Freundin verzeiht. Chinesisches Sprichwort.«
    »Das kenne ich gar nicht.«
    Ich lachte. »Übrigens findet Janette, dass du ein eitler Fatzke bist.«
     

42
     
    Die PD Reutlingen war in einem denkmalschutzverdächtigen Klinkerbau untergebracht, der keinerlei Ähnlichkeit mit dem grauen Gefängnisbau des Präsidiums in Stuttgart hatte. Kein sanfter Gurkengeruch im Entree, so stand es zu vermuten, keine abwaschbar ausgepinselten Fahrstüh le in die geschlossene Abteilung. Dennoch verzwirbelten sich meine Nerven, als Richard auf die Tür zuhielt. Ich blieb stehen unterm Nachthimmel in der Stadt, die nicht ganz so entvölkert war wie die Dörfer oben zu dieser Stunde, aber fast.
    Richard blickte sich um, blieb stehen, kam zurück.
    »Ich glaube«, sagte ich, »ich warte lieber im Auto. Nicht, dass Cipión dir die Polster zerbeißt.«
    Richards forschendem Blick wich ich in eine Suche nach meiner Bewaffnung aus und fischte Zigarettenschachtel und Feuerzeug aus meiner Jacke.
    »Was ist los, Lisa? Hör mal, da drin tut dir keiner was. Dir tut überhaupt niemand etwas, Lisa!«
    »Natürlich nicht, ich kann ja Judo.«
    »Das …« Er zögerte, dann ging er es mit gesenktem Kinn an. »Das hat dir schon einmal nichts genützt. Und ich bin schuld daran, dass es dazu kam. Und seitdem machst du mir das Leben zur Hölle.«
    »Was?«
    »Du traust mir nicht mehr, Lisa.«
    »Doch, ich traue dir alles zu, Richard.«
    »Bitte, lass doch einmal diese Kindereien! Mag ja sein, dass du mir nicht mehr das Recht zubilligst, an deinen Gefühlen teilzuhaben, aber ich würde mir wünschen, dass du allmählich anfangen könntest, darüber zu reden. Wirf mir endlich vor, was du mir vorwerfen willst.«
    »Was soll ich dir denn vorwerfen? Genau wie ich hast du erst zu spät gemerkt, worauf es bei dem Verhör hi nauslaufen würde.«
    »So wie heute! Wieder habe ich zu spät gemerkt, dass dir ein Treffen mit Hark gefährlich werden könnte.«
    »Richard, es war nicht gefährlich, und du bist nicht mein Wachhund.«
    »Stimmt, aber ich bin auch nicht dein Hanswurst, den du nach Belieben anpflaumst und je nach Laune mal reizend und dann wieder schroff behandelst. Und du kannst mir auch nicht ständig bei der geringsten Meinungsverschiedenheit nahe legen, ich solle doch gehen, wenn du mir peinlich seiest. Das macht mein Herz nicht mit, Lisa.«
    Ich versuchte, mich zu erinnern, was genau passiert war, bevor er sich auf die Alb zurückgezogen hatte. Wir hatten uns gestritten. Aber wir stritten ständig. Offenbar machte ihm das mehr aus, als ich in meinem grenzenlosen Vertrauen in seine Duldsamkeit vermutet hatte. Da hatte ich mich wohl getäuscht in ihm. Alles Plüsch! Jetzt verlor ich auch ihn und strauchelte unaufhaltsam in die Alterseinsamkeit.
    »Dann ist es wohl doch besser, wenn ich im Auto war te.« Ich drehte mich um.
    »He!«, sagte er leise. »Lisa! Du kneifst!«
    Ich stoppte. Dasselbe hatte ich doch einst zu Hark gesagt. Offenbar entwickelte ich eine verkable Polizeipräsidiumsphobie. »Richard, du glaubst doch auch, dass ich mich aus Angst vor dem Leben verkleide.«
    »Ja, sicher. Aber na und? Das tun wir alle. Ein bisschen Angst hat jeder, wie er wohl aufgenommen wird. Aber das meine ich nicht, Lisa. Ich glaube, du willst nicht anerkennen, dass du dir einmal nicht selbst helfen konntest. Und damit das nicht noch einmal passiert, hast du aufgerüstet. Jetzt verschanzt du dich hinter den Zin nen deiner Burg und schießt mit Kanonen auf Spatzen wie mich.«
    »So schlimm?«
    »Schlimmer! Und sag jetzt bitte nicht, ich könne ja gehen, wenn ich damit nicht klarkomme. Wie du siehst, bin ich immer noch da, obgleich ich damit nicht klarkomme.«
    Ich war gerührt. Er blickte taktvoll einem Auto nach, das die Straße entlangröhrte, während ich meine Gefühle kämmte.
    »Okay«, sagte ich. »Der Weg aus der Angst fuhrt immer durch die Angst. Dann gehen wir jetzt da rein und stellen Abele.«
    »Falls er noch im Amt ist«, sagte Richard mit einem Blick die historische Fassade hinauf in die abendliche Dunkelheit über dem Dach. Dabei fasste er mich mit leichten Fingern am Arm, ganz Kavalier, der eine Dame durch die Fährnisse unebener Wege leitete, aber er zog dabei den Atem ganz tief bis ins Becken hinab und verwandelte ihn auf dem Rückweg in einen leisen erleichterten Seufzer.
    Abele war nicht mehr im Amt.
    »Haben wir eine
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