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Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Titel: Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Autoren: Silvia Roth
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Unmittelbarkeit von Eindrücken, als sie zum Beispiel in Ricardas eigener Kindheit möglich gewesen waren. Ja, dachte sie, selbst manchem Erwachsenen, mich
eingeschlossen, bereitet das Gefühl, einem ausgewachsenen Löwen oder Tiger sozusagen Auge in Auge gegenüberzustehen, zumindest eine Gänsehaut  – Panzerglas hin oder her.
    »Mama?«
    »Schon gut, Liebling«, sagte sie, indem sie ihrer Tochter sanft über die Haare strich. »Hier drin ist kein Löwe.«
    »Bestimmt nicht?«
    »Nein, bestimmt nicht.« Sie hielt inne, als ihr Blick das Fenster streifte, wo die Jalousie nicht heruntergelassen war. »Leah?«
    »Ja?«
    »Warum ist der Rollladen oben? Ich hatte ihn doch heruntergelassen, vorhin.«
    Ihre Tochter senkte schuldbewusst den Blick. Sie wusste ganz genau, dass ihre Mutter viel Wert darauf legte, dass alle Rollläden geschlossen waren, sobald es dunkel wurde. Es hatte nicht einmal etwas mit der aktuellen Vergewaltigungsserie zu tun. Ricarda hasste einfach das Gefühl, dass irgendjemand zu ihnen hineinsah und vielleicht einen Blick erhaschte auf ihr Kind im Unterhemd. Auf die Bilder, die an den Wänden ihres Hauses hingen. Auf Privates, etwas, das ihr ganz allein gehörte.
    »Hast du ihn wieder hochgezogen?«
    Nicken. Noch schuldbewusster als zuvor.
    »Warum?«, fragte Ricarda.
    »Weil ich sonst die Sterne nicht sehen kann.«
    Ricarda konnte nicht umhin, zu lächeln. Das war doch mal ein vernünftiges Argument! »Na schön«, sagte sie. »Aber was, wenn du dann morgen ganz früh wach wirst?«
    »Werde ich nicht.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Weil ich es schon die ganze Zeit so mache.«
    »Wirklich?« Ricarda blickte sich irritiert um. Das war ihr tatsächlich entgangen. Und obwohl es eigentlich nur eine
Bagatelle war, verstärkte es ihre Unruhe. Sie fühlte sich wie ein Hirte, der vergessen hatte, ein Gatter hinter sich zu schließen …
    »Liest du jetzt weiter?«
    »Gleich.« Mit dem aufgeschlagenen Buch in der Hand stand Ricarda auf und trat ans Fenster. Nach dem Sternen-Argument wollte sie ihrer Tochter den freien Blick in den Himmel nicht wieder rauben. Aber sie musste sich wenigstens davon überzeugen, dass noch alle Schafe im Pferch waren. Dass es keine Gefahr gab.
    Ein Löwe, der durchs Haus schleicht  …
    Sie warf einen Blick auf das Thermometer am Fensterrahmen, dessen Außenfühler noch immer achtundzwanzig Grad maß. Dann schob sie die Bistrogardine mit den bunten Libellen beiseite und sah zum Nachbarhaus hinüber. Das kompakte Dunkel hinter den Rollladenritzen verriet, dass sich Anna und Jörn aller Wahrscheinlichkeit nach gemeinsam im Wohnzimmer aufhielten. Wahrscheinlich stand die Terrassentür sperrangelweit offen und …
    »Mama!«
    »Ja, mein Liebling?«
    »Was machst du?«
    »Nichts.« Ricarda ließ die Gardine los und wollte sich gerade abwenden, als etwas, das sich vorn an der Straße abspielte, ihre Aufmerksamkeit erregte. Leahs Fenster lag an der Schmalseite des Hauses, sodass man von dort neben dem Haus der Nachbarn auch ein Stück von der Straße sehen konnte. Zwar war die Beleuchtung an dieser Stelle nicht besonders günstig, doch Ricarda sah deutlich den Schatten eines Autos. Dunkel und ziemlich groß. Allerdings war es weniger das Fahrzeug selbst, das ihr auffiel. Es war die Tatsache, dass es ohne Licht fuhr. Die Limousine glitt durch den Ausschnitt, den sie sehen konnte, wie ein Raubfisch  – lautlos, ein stromlinienförmiger Schatten.
    »Was ist denn, Mama?«
    Ricarda hielt sich ganz still. Normalerweise hätte sie jetzt mit »Nichts, alles in Ordnung« geantwortet, doch die Worte wollten einfach nicht über ihre Lippen kommen.
    »Hast du ihn gesehen?«, fragte Leah hinter ihr mit Angst in der Stimme.
    »Wen?«
    Noch leiser, verschwörerisch fast: »Den Löwen.«
    Ricarda antwortete nicht. Das, was ihr auf der Zunge lag, konnte sie unmöglich sagen. Nicht einem sechsjährigen Kind.
    Ich bin mir nicht sicher  …

4
    Sie wird Ihnen gefallen  …
    Damian fühlte, wie die alte Wut ihn wieder ankroch. Dass irgendjemand sich anmaßte zu beurteilen, was ihm gefiel, trieb ihn buchstäblich zur Weißglut. Und dieser Kerl tat genau das. Ebenso wie die Presse. Dabei troff die Ratlosigkeit der Reporter aus jeder Zeile, die sie über ihn schrieben. Er verfolgte die Berichterstattung über seine Taten aufmerksam. Sie hatten nicht die leiseste Ahnung, in welche Schublade sie ihn stecken sollten. Seine Opfer waren unterschiedlich groß, hatten unterschiedliche
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