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Hirschgulasch

Hirschgulasch

Titel: Hirschgulasch
Autoren: Graf-Riemann/Neuburger
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Flüssigkeit, die aus dem Gehirn stammt. Dieselbe Mischung
ist aus Nase, Mund und Ohren ausgetreten. Die Augenhöhlen zeigen Einblutungen,
Hämatome rahmen die Augäpfel ein wie eine dunkle Sonnenbrille. Im Bereich des
Bauches ist die Goretex-Jacke durchnässt. Brandner denkt, er möchte nicht der
Rechtsmediziner sein, der der Leiche diese Jacke ausziehen muss. Durch den
Aufprall wird der Druck im Körper so stark, dass die Bauchdecke platzt. Es ist
nicht das erste Mal, dass Brandner so etwas sieht.
    »Beide Seile durchgeschnitten«, sagt er. »Kennst du den?«
    Grundner schüttelt den Kopf. »Er hat nur dreißig Meter Seil dabeigehabt.
Das heißt, er hat nicht gewusst, wie weit es hier hinuntergeht.«
    »Dann also jetzt das volle Programm.« Brandner sagt es ohne Elan. »Kripo
Traunstein, Spurensicherung. Die müssen jetzt alle hier runter.«
    Grundner nickt und verständigt den Hubschrauberpiloten.
    »Wie schaut’s denn aus bei euch da unten?«, fragt der.
    »Stockdunkel und kalt. Fünf bis sieben Grad.«
    »Alles klar!«
    »Und, Andi?«
    »Ja?«
    »Einen wunderschönen Flugtag noch, gell? Wirst schon ein paarmal
hin- und herfliegen müssen, bis alle da sind, die wir jetzt brauchen.«
    »Du mich auch, Klausi. Ende.«
    ***
    Von der Einsatzleitung der Bergwacht geht eine Meldung an die Polizeidienststelle,
an die Leitung der alpinen Einsatzgruppe Berchtesgaden und an die Kripo
Traunstein.
    »Baut doch endlich mal ein Geländer um eure Berge, sonst fallen euch
noch alle Touristen runter.« Meik Lebow von der Kripo Traunstein denkt gar
nicht daran, seinen Thüringer Slang abzulegen. Er trägt ihn mit ebenso viel
Stolz wie seine knackigen Hilfiger-Jeans.
    »Freut mich, dass ihr mit Humor an die Sache rangeht«, pariert Franz
Gruber von der PI  Berchtesgaden. »Also, du
weißt Bescheid. Wie es aussieht, wird es kein Spaziergang bis zum Fundort der
Leiche. Verstehst?«
    »Verstehe.«
    »Und schickt uns doch bitte jemanden, der schon mal einen Berg von
oben und eine Höhle von innen gesehen hat. Wir sind hier nicht im
Kletterkindergarten, gell?«
    »Alles klar. Keine Bergtouristen aus Thüringen, meinst du wohl. Hab
ich verstanden, Franz. Müsst ihr Berchtesgadener eigentlich immer so grob sein?
Die Spurensicherung ist schon so gut wie bereit, das sind kernige Burschen, sag
ich dir. Ist der Hubschrauber schon unterwegs?«
    »Na, wir ham dacht, eine Muli-Karawane reicht auch für euch
Traunsteiner. Also, dann sehen wir uns ja hoffentlich noch bei Tageslicht. Wen
bringst denn als Ermittler mit?«
    »Die Leni Morgenroth, wenn sie nicht grade wieder spinnt.«
    »Die Leni, das ist gut, mit der kann man wenigstens was anfangen
hier im Gebirge.«

Kiew, 3. Mai 2010
    Als Luba um halb sieben wieder zum Stiftungsgebäude kommt, steht sie
vor verschlossenen Türen. »Geöffnet Montag bis Freitag, acht bis achtzehn Uhr«.
Die Luschenko hatte halb sieben gesagt, sie hat sich doch nicht verhört. Das
Gebäude ist dunkel, anscheinend ist kein Mensch mehr drin. Luba sieht sich um.
Auch die Straße sieht verlassen aus. Zwei, drei Autos stehen da, wo mittags
noch alles vollgeparkt gewesen war. Was soll sie jetzt tun, warten?
    Ist da jemand im Foyer? Eine Gestalt tritt hinter einer Säule in der
unbeleuchteten Eingangshalle hervor. Es ist Dr. Luschenko, die Frau mit
dem zweifarbigen Haar. Sie steckt einen Schlüssel ins Schloss und öffnet die
Eingangstür.
    »Kommen Sie«, flüstert sie und geht voran durch die Halle in ein
Treppenhaus neben dem bereits ausgeschalteten Lift.
    »Wieso flüstern Sie?«, fragt Luba. »Tun wir etwas Verbotenes?«
    »Ach wo«, sagt Dr. Luschenko, »muss nur nicht jeder mitbekommen.
Seit die Auszahlungen beendet sind, haben wir ja praktisch keinen
Publikumsverkehr mehr. Wir wickeln uns jetzt sozusagen selbst ab.«
    Luba folgt ihr in den zweiten Stock. Ihre Schritte hallen durch
einen langen, leeren Gang. Alle Türen stehen offen. Verkratzte Tische mit
vereinzelten alten elektrischen Schreibmaschinen, Rechenmaschinen mit weißen
Papierrollen, Holzlineale und stapelweise Akten in verblichenen roten
Pappumschlägen. Die Computer sind fette Stahlkästen, denen man ansieht, dass
sie noch mit dem Millenniumsproblem zu kämpfen hatten, auf den Bildschirmen,
die auf den Kisten stehen, haben sich Buchstabenkolonnen in die Bildröhre
eingebrannt.
    »Ich glaube, das ist die Büroausstattung der Stasi-Behörden, die wir
nach der Wiedervereinigung der Deutschen geerbt haben«, versucht Dr. Luschenko
zu scherzen. »Mein
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