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Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo

Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo

Titel: Hippolyt Hermanus 02 - Toedlicher Tartufo
Autoren: Michael Böckler
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Maria ihm nur sagen, dass sie sein Angebot nun doch annehme, seinen Vorschlag, eine weitere Woche freizunehmen. Zunächst hatte sie sich gesträubt, hatte erklärt, dass sie nach dem Tod ihres Mannes die Arbeit in seinem Haus als Ablenkung brauche. Aber Rettenstein hatte recht gehabt. Sie konnte einfach nicht, noch nicht. Zu wenige Tage erst waren vergangen, seit man Ildefonso im Wald erschossen aufgefunden hatte. Noch hatte sie keine Zeit für sich und für ihre Trauer gefunden, ständig gab es etwas zu tun – und wenn es nur darum ging, Beileidsbekundungen entgegenzunehmen.
    Obwohl sie mit den Gedanken also ganz woanders war – bei ihrem verstorbenen Mann, bei den ungeklärten Umständen seines dramatischen Todes, bei lieben Freunden, die ihr kondolierten –, bereitete es ihr doch zunehmend Sorge, dass Rettenstein nicht ans Telefon ging. Nun gut, vielleicht war sie momentan etwas hysterisch, das mochte sein. Aber gerade weil ihre Nerven so angegriffen waren, wollte sie sichergehen, dass ihm nichts passiert war.

    Mit ihrem Fiat Panda fuhr sie kurz entschlossen zur Enoteca ihres Bruders Carlo und fragte ihn, ob er den Laden zusperren und sie begleiten könne. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass es besser sei, nicht alleine zu sein. Carlo Giardina hatte gerade keinen Kunden, und außerdem konnte er seiner Schwester in ihrer jetzigen Situation sowieso keinen Wunsch abschlagen. Also hängte er ein Schild mit »chiuso« an die Tür und stieg zu Maria ins Auto. Nur wenige Kilometer waren es von Neive* bis zu Rettensteins Haus in Altavilla, einer exklusiven Wohngegend oberhalb von Alba. Das schmiedeeiserne Tor war nur angelehnt, für Maria ein sicherer Hinweis, dass Rettenstein keine Reise angetreten hatte. Wie üblich parkte sie ihr Auto unter der Kastanie neben der Garage. Durch das kleine Fenster sah sie seinen Mercedes.
    Unwillkürlich beschleunigte sie ihre Schritte. Irgendwas stimmte hier nicht, das fühlte sie. Vielleicht hatte ihr Padrone einen Schwächeanfall erlitten? Sie war schon immer der Meinung gewesen, dass er ungesund lebte – zu viel Grappa, zu viele Zigarren, zu wenig Bewegung. Carlo rüttelte an der verschlossenen Haustür. Dann folgte er Maria, die um die Ecke zum Nebeneingang eilte, für den sie einen Schlüssel hatte. In der Villa stellten sie fest, dass der Schlüssel für die große Tür von innen steckte. Sie riefen Rettensteins Namen, sahen im Wohnzimmer nach, im Schlafzimmer. Sein Reisekoffer war im Schrank. Die Brieftasche lag auf dem Nachtkästchen. Wo war eigentlich Sulawesi, seine geliebte Katze? »Micio, micio, micio …«, rief Maria. Na ja, wahrscheinlich war sie durch den Schlupf nach draußen, um auf Mäusejagd zu gehen.

    Auf seinem Schreibtisch entdeckten sie ein Parmesanmesser. Carlo deutete fragend auf das Loch in der Arbeitsfläche. Es sah so aus, als ob es von dem kleinen kräftigen Messer herrühren würde. Maria zuckte ratlos mit den Schultern. Rettenstein konnte recht impulsiv sein, neigte zu gelegentlichen Wutausbrüchen, die er gottlob nie an ihr ausließ. Über irgendetwas musste er sich unbändig geärgert haben, da war er zu solchen Reaktionen fähig.
    »Signor Rettenstein, dov’è? Signore

«
    Im Degustationsraum angelangt, stieg ihnen ein immer intensiverer Weingeruch in die Nase. Er kam aus der offenen Tür, hinter der die Treppe in Rettensteins Heiligtum führte, in seinen Weinkeller. Das Licht brannte.
    »Signore, è giù in cantina? Sind Sie da unten?«
    Sie eilten die Stufen hinab, wobei ihnen der schwere Duft, der ihnen entgegenschlug, fast den Atem nahm.
    Auf dem letzten Absatz blieben sie abrupt stehen. Carlo schlug die Hände vors Gesicht. Maria, die ihr Gleichgewicht zu verlieren drohte, musste sich am Geländer festhalten. »Dio mio«, flüsterte sie. Unter dem umgestürzten Weinregal, aus dem infernalischen Chaos zerbrochener Flaschen und Bretter, ragte Rettensteins Leichnam hervor, in einer klebrigen Brühe auf dem Rücken liegend, mit starren Augen und ausgebreiteten Armen. Eine abgebrochene Flasche hatte sich in seinen Hals gebohrt. Auf dem Etikett war deutlich eine blau-goldene Kompassrose zu erkennen.
    Hubertus Rettenstein, der weithin bekannte Feinschmecker, Trüffelfreund und Liebhaber exquisiter Weine, er war ausgerechnet von seinem wertvollsten Regal erschlagen worden, jenem, in dem er komplett alle Sassicaia-Jahrgänge versammelt hatte – beginnend mit 1968.

7
    D ie vergangenen Tage hatte Hipp damit verbracht, lange auszuschlafen,
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